Dienstag, 24. April 2018
Das absolute Individuum
Welch chthonische Wonne, zu einer benachteiligten Gruppe zu gehören, und den Schmerz der Ausgrenzung zu empfinden! Wenn das der einzige Schmerz ist, dem man sein Leben lang ausgesetzt ist, und man dann noch jammert, ist man ein derart peinliches Stück Jammerfleisch, dass die diskriminierte Gruppe, der man angehört, sich von einem angewidert distanzieren müsste. Der lunarische Schmerz unerwiderter Liebe ist um ein Vielfaches härter, zuweilen unerträglich, und ein respektabler Grund für einen Verzweiflungssuizid. Der Verlust eines geliebten Menschen durch einen Schicksalsschlag oder ein Verbrechen gehört in ebendiese kaum erträgliche Schmerzenskategorie. Der solare Schmerz totaler Luzidiät stellt jedoch selbst dieses Leid in den Schatten: die absolute Einsamkeit, das Individuum schlechthin zu sein, einerseits absolut Einzelner, andererseits absolut untrennbar, und somit von der existenziellen Einsamkeit unheilbar.
Das wirkliche, nicht bloß empirische Ich, die hochsensible hocheinsame Persönlichkeit mit der Bürde des Werts, diesem Kartoffelsack voller Gold auf den Schultern; die Verantwortung für den eigenen unschätzbaren Wert, aus der man durch keine Lebenslage und keinen Rückzug entlassen werden kann: aus diesem Grund ist beispielsweise der Kyniker kein locker-entspannter Penner, sondern das moralische Gewissen der Menschheit an jedem noch so entlegenen Straßenrand.
Die moralische Pflicht, nach Macht zu streben und Gewalt auszuüben, weil man der Gute ist, und das Gute in sich trägt, und es bei einem Rückzug fühlenden und leidenden Wesen verweigert: den falschen Stolz überwinden, dass eine nichtige aber mit gutem Aussehen zufällig beschenkte Frau dem wahrhaft Wertvollen den Nichtswürdigen vorzieht, und sich zum edlen Stolz der Würde bekennen, und damit zur Verantwortung des Lichts, hell zu leuchten, das macht den wahren Übermenschen aus.
Der absolute Schmerz, der aus klar vorgesteller Möglichkeit und der eigenen Fähigkeit zur unendlicher Liebe entsteht, und das Wissen, dass diese Liebe in der gegebenen Welt aufgrund der Verderbtheit dieser niemals zur Entfaltung kommen kann, ist die härteste Prüfung für die Besten und Edelsten unter den Menschen.
Mittwoch, 11. April 2018
Totaler Konformismus
Die meisten Leute haben fast zu nichts eine echte persönliche Meinung, sie raten vielmehr jedesmal, welche Ansichten sozial erwünscht sind, und geben diese dann für ihre eigenen aus. Durch das angenehme Gefühl der sozialen Bestätigung dieser Ansichten wird die Illusion einer eigenen Meinung erzeugt, so dass man schließlich glaubt, tatsächlich dieser Meinung zu sein. Dieses faule Spiel funktioniert sogar in den persönlichsten Bereichen, von denen man annehmen müsste, sie wären frei von sozialer Kontrolle, und stattdessen von authentischen Erfahrungen beherrscht: selbst in der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele wird die Meinung mittels des Pingpongspiels der Rückbestätigung gebildet.
Montag, 9. April 2018
Schlechtes Karma
Dein Karma entscheidet darüber, in welche Welt du hineingeboren wirst, jedoch nicht darüber, was in jener Welt mit dir passiert. Was passiert, ist kontingent. Behinderung, Krankheit oder Grausamkeiten, die dir andere antun, sind keine Folge von schlechtem Karma, sondern zufällige Ereignisse. Das schlechte Karma setzt dich bloß in eine Welt, in der diese Abscheulichkeiten möglich sind. Dein Karma wird auch nicht durch ein kontingentes Ereignis (nicht durch den Zufall von Sieg oder Niederlage) verbessert, sondern allein durch deinen tätigen und bis zum Ende standhaften guten Willen.
Dienstag, 3. April 2018
Irrliebe
Liebe, so heißt es, deinen Nächsten! In vino caritas: trinken wir auf die barmherzige Liebe! Liebe, so heißt es, deinen Feind! Homo homini lupus: den Fremden kennt der Christ nicht, aber er kennt Gott, und zwar persönlich. Auf diesem Vertrauen, dass sein Gott der Gott aller Menschen ist - philosophisch ausgedrückt, dass die gesamte bekannte und unbekannte Welt ein einziges Ganzes ist - sei die Feindesliebe gegründet.
Der dritte Stand erhob sich aus dem Staub der Geschichte, um die Welt aus den Angeln zu heben, um die Werte umzuwerten, um Gott für tot zu erklären. Alle Sittlichkeit ward ihm nichtig, es zählte allein die Gesinnung. Reformation und Romantik haben die Welt tiefgreifender verändert, als die Französische Revolution Frankreich. Seit einigen Jahrhunderten gibt es nur noch eine Liebe, die romantische, - ob mit oder ohne Eros, die Liebe hat wahr zu sein, muss tief aus dem Herzen kommen.
Seien wir ehrlich. Die meisten von uns, hätten sie ihre Eltern oder Geschwister in der freien Wildbahn getroffen, hätten einen großen Bogen um diese Menschen gemacht. Jeder wurde in ein Umfeld hinein geboren, das er sich nicht aussuchen konnte, und im Nachhinein auch nicht ausgesucht hätte. Die alte Weltordnung kennt die Pflicht, die Älteren, insbesondere die Eltern, zu ehren. Die Pflicht kann gern oder freudlos erfüllt werden, aber solange sie erfüllt wird, handelt man richtig. Die neue Weltordnung fordert nun, dass die Liebe zu den Eltern und Geschwistern nicht nur pflichtgemäß gelebt, sondern auch tief im Herzen empfunden werden möge. Wie pervers das ist, versteht sich nicht für jeden von selbst. Also ein Gedankenexperiment.
Man stelle sich vor, man würde auf offener Straße gefangen und entführt werden, dann in ein Kellerloch mit Kinderbett gesteckt, und dort für Jahre festgehalten. Wenn man Hunger oder Durst hat, muss man anfangen, laut zu heulen, und wenn man etwas tun will, muss man den Entführer um Erlaubnis fragen. Ein seltenes und selten abscheuliches Verbrechen, so selten, dass ein Opfer allein dadurch, dass ihm solches widerfuhr, berühmt werden kann. Und doch ist das jedem von uns passiert: jeder wurde in die wehr- und hilflose Lage eines Kindes hineingeboren, ohne dass man ihn um seine Zustimmung gefragt hätte. Jeder musste seine zartesten Jahre an der Seite von Erwachsenen verbringen, die er sich nicht aussuchen konnte, und die eine fast uneingeschränkte Macht über ihn inne hatten.
Ein Entführungsopfer kann, um nicht aufgrund seiner hilflosen Situation den Verstand zu verlieren, am Stockholm-Syndrom erkranken. Das funktioniert auch bei jedem Kind, und hieraus resultiert die unhinterfragbare Liebe zu den eigenen Eltern, - unhinterfragbar, weil die Entführung im Alter von Null stattfindet, und das Machtgefälle zwischen Entführer und Opfer gigantisch ist.
Der Mensch wird als unfrei geboren, und das neuzeitlich umgedeutete Liebesgebot - Liebe müsse nicht nur gelebt, sondern auch empfunden werden - legt ihn in Ketten. Es geht auch anders: ja, diese Frau da ist meine Mutter, aber ich, Fritzchen, 5 Jahre alt, bin in mein Kindermädchen verknallt. Die Mutter ehre ich, das Kindermädchen liebe ich. Wer ist der wichtigste Mensch in meinem - Annika, 8 Jahre alt, - niedlichen süßen Leben? Nein, nicht mein Vater, sondern natürlich die schöne Sophie aus der vierten Klasse. Wir müssen lernen, Schutzbefohlene nicht als Besitz zu betrachten. Wir müssen aufhören, Liebe erzwingen zu wollen. Wir müssen erkennen, dass unsere Eltern nicht das Beste für uns wollten, sondern dadurch, dass sie uns in die Welt setzten, das Beste für sich erhofften.
Sonntag, 1. April 2018
Dankbarkeitsbeschämung
Dankbarkeit ohne Ehrlichkeit ist Heuchelei. Wer einseitig für das Gegebene dankbar ist, und sich beschämt über das Genommene ausschweigt, bei dem hat narzisstische Gehirnwäsche funktioniert. Der ehrlich Dankbare ist für jeden Cent dankbar, der ihm gegeben wurde, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, aber wenn ihm für ein paar Tausend Taler ein Diamant im Wert von einer Milliarde genommen wurde, relativiert sich die Dankbarkeit zu einem vernünftigen Maß.
Das Bisschen an billigem Geld, das im Ölzeitalter zum Überleben nötig ist, ist eine jedem leistungslos gewährte Selbstverständlichkeit. Die meisten „arbeitenden“ Menschen sind ohnehin Parasiten, die Netto-Steuerempfänger sind, und deren Jobs sind nur Alibis für die Frage, wofür sie eigentlich das Vielfache von Hartz 4 bekommen. Und nur ein moralisch verkommener Mensch würde jemandem die Versorgung während der Kindheit in Rechnung stellen: keiner hat um seine Zeugung und Geburt gebeten.
Der narzisstische Kannibalismus, der Lebensfreude und Vitalität verschlingt, wiegt unvergleichlich schwerer als die im Zeitalter der fossilen Energien fast umsonst zu gewährleistende Grundversorgung. Jemand, der seiner Lebensfreude und Vitalität nicht beraubt wird, und nicht Jahre oder Jahrzehnte am Rande des Suizids leben muss, sondern schnell und effizient den Einstieg ins Berufsleben finden kann, wird mit Freude das Vielfache an materiellen Leistungen der Gesellschaft zurückgeben. Wer narzisstisch kannibalisiert wurde, ist anderen nichts schuldig, und schuldet allein sich selbst etwas, und zwar die Wahrheit.
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