Montag, 11. März 2019
Ist Moral für Zukurzgekommene?
Jene, die sagen, einer wolle nur deshalb gut sein, weil er zu kurz gekommen sei, sind ziemlich anspruchsvoll mit ihren Forderungen an den zu kurz gekommenen Guten: dieser soll nicht sein eigenes Glück anstreben, sondern das ihre, er soll sich selbst nicht als Selbstzweck ansehen, sondern als Mittel, soll nur anderen dienen und sich selbst an die letzte Stelle setzen. Das heißt, der Preis, den sie für das Behaupten (und Vorleben) des moralischen Unterschieds verlangen, soll nicht geringer sein als die Selbstaufopferung.
Wenn das Gute so billig ist, wenn es nur schlechter Trost für Verlierer sein soll, warum verlangen die, die dies sagen, dann einen so hohen Preis dafür? Ich vermute, sie wissen ganz genau, dass ich nicht deshalb gut bin, weil ich nicht die Möglichkeit habe, böse zu sein, sondern weil ich die Willenskraft habe, trotz aller Widerstände des Weltlaufs und der menschlichen Natur gegen das Gute und aller Verlockungen des Bösen gut zu sein. Nein, ich bin nicht gut, weil ich zu kurz gekommen bin. Ich soll vielmehr zu kurz kommen, weil ich der Gute sein will.