Mittwoch, 14. Dezember 2016
Erfolg und Scheitern
Für einen Menschen des ontologischen Ersten Standes ist das im Leben zu verfolgende Ziel die Verwirklichung eines geistig-moralischen Ideals. Es ist ein innerer Kampf, und darum das schwerste Ziel; Siege in diesem Kampf sind die wertvollsten.
Der Zweite Stand kämpft gegen einen äußeren Feind. Nicht der Sieg, sondern der Mut und die Unerschütterlichkeit im Kampfe sind der Erfolgsnachweis; wer einem übermächtigen Feind die Stirn geboten hat, hat gesiegt, auch wenn er verloren hat (etwa ein Widerstandskämpfer in der Nazi-Diktatur).
Der weltliche Erfolg (mein Haus, mein Auto, mein Boot) ist das Ziel des Dritten Standes. Wer sich nicht fortgepflanzt hat, kein Vermögen angehäuft, und kein Ansehen unter Standesgenossen erreicht, gilt als gescheitert. So gilt dem Dritten Stand der Eremit als gescheitert (er hat sich doch bloß zurückgezogen, weil er im Leben nichts erreicht hat!), der Held ebenso (sinnlose Selbstopferung - das ist bestimmt pathologisch!), und natürlich auch der Konkurrent von demselben Stand (und wenn er einen Ferrari fährt, dann bloß, weil er einen kurzen Penis hat!).
Die psychologische Verführung, ein Scheitern in einen Erfolg umzudeuten, ist immer zu beachten. Daher muss sich jeder fragen: "Was sind wirklich meine Werte?" Wer nie ein Heiliger sein wollte, darf sich nicht nach lebenswierigem Leid zum Heiligen erklären, denn er wollte ficken, viel Geld haben und mit vielen wichtigen Leuten befreundet sein, und hat nichts davon erreicht. Wer niemals sein Gewissen ignorieren konnte, und durch Skrupel von vielen möglichen Erfolgen abgehalten wurde, hatte tatsächlich andere Werte als die materiellen oder sozialen, und ist nur dann gescheitert, wenn er seine Werte (sei es aus Verzweiflung oder Verführung) verraten hat.