Dienstag, 7. Februar 2017

Das Glücksversprechen




Mit (spätestens) 30 muss der edle Charakter einsehen, dass er sein Leben auf dieser Welt einsam, ohne Nähe und Zärtlichkeit, verbringen wird, - und dass alle Wünsche, Träume und Kindheitsvorstellungen diesbezüglich nicht von dieser Welt sind, sondern einer Welt entspringen, in der - wenn es sie gibt - dem Würdigen die ewige Glückseligkeit zuteil wird.

Wer diese edle Wahrheit mit 19 erfährt, verfällt der Apathie, denn jede Anstrengung, die dauerhaft Mühe erfordert, funktioniert nur mit einem impliziten Belohnungsversprechen.

Wer zu früh - nicht als Erfahrungsweisheit, sondern als apodiktischen Satz - erfährt, dass wahres Glück auf Erden nicht möglich ist, wird nihilismus- und suizidgefährdet sein. Die Charakterbildung hört auf, man resigniert, bringt sich bestenfalls um (oder kehrt in den feuchtwarmen Schoß der tierischen Natur des Menschen zurück).

Das unausgesprochene Glücksversprechen, das jedem in der Kindheit gegeben wird, ist ein pädagogisch notwendiger Betrug, damit sich eine Persönlichkeit überhaupt entwickeln kann, - Entwicklung ist nur auf ein Ziel hin möglich, und für Kinder und Jugendliche kann dieses Ziel noch kein jenseitiges sein.