Dienstag, 17. Oktober 2017
Persönlichkeit und Nihilismus
Je stärker eine Persönlichkeit, umso deutlicher bekennt sie sich zum Nihilismus, wenn dieser tatsächlich ihre Weltanschauung respräsentiert, - die Bereitschaft, alle Denkverbote und Trosttabus fallen zu lassen, und die Nichtigkeit aller möglichen Ziele, Wünsche und Hoffnungen zu erkennen, wächst mit der Reife des Geistes. Der Schwächling verdeckt seine geistige Scham mit vereinzelten "Werten", die keine konsistente Weltanschauung bilden, - sie werden vielmehr postuliert, um die Erkenntnis der Sinnlosigkeit aller eitlen Bestrebungen mit einer Moralkeule zu vertreiben.
Je willensstärker ein Mensch, umso längerfristig kann er planen. Der fremdbestimmte Mensch - als Objekt, als Sklave seiner Triebe oder einer äußeren Macht, - lebt in den Tag hinein, und kennt weder Zukunft noch ein klares Bewusstsein vom Tod. Eine starke Persönlichkeit kann mit 30 Jahren bereits mit aller Ruhe auf ihren eigenen Alterstod blicken. Auch Zeiträume wie 6000 Jahre (Geschichte der Menschheit), eine Milliarde Jahre (Geschichte mehrzelligen Lebens auf der Erde) und 14 Milliarde Jahre (Alters des Universums) sind mit einiger Übung überschaubar. Was ist die Konsequenz?
Stolz, Würde und Geschmack werden davon, dass alles angesichts des Todes egal ist, nicht tangiert. Man bleibt weiterhin ein moralischer Mensch, weil der Stolz einem nicht erlaubt, wie ein Tier zu leben, und weil Würde und Geschmack einem nicht verzeihen würden, wenn man sich vor sich selbst ekeln müsste. Dass alles angesichts des großen Nichts, wie weit man dieses auch fasst (der eigene Tod, das Ende der Menschheit, die Vernichtung des Universums), letztlich egal ist, ist keine Entichungsfreikarte. Ein Ich lässt sich nicht rückgängig machen, es ist die einzige unbestreitbare ontologische Tatsache: Ich bin Ich.
Der Nihilismus einer reifen moralischen Persönlichkeit mit Stolz, Würde und Geschmack kann also entweder ein heroischer oder ein mystischer sein. Der heroische Nihilist lebt sein Leben so, als ob angesichts des unendlichen ewigen Nichts, das letztlich alles vergangene, gegenwärtige und zukünftige Sein verschlingen wird, nicht alles egal wäre, und strebt nach moralischer Vollkommenheit ohne jede Aussicht auf Glückseligkeit. Der mystische Nihilist zieht sich von allem zurück, was eitel ist, also letztlich von allem, was nicht nichts ist. In der Hinwendung zum Nichts strebt er nach ontologischer Vollkommenheit, will das Nichts vernichten, indem er vor der Vernichtung seines Ich durch das Nichts selbst zum Nichts wird.