Sonntag, 22. Oktober 2017

Unendlichkeit oder nichts





Es gibt Menschen, die bloß vom Fressen und Saufen glücklich werden, und es gibt Menschen auf höherem geistigen Niveau, die auf die zufriedenen Schweine (aufgrund deren einfachen aber doch evidenten Glücks) neidisch sind, meint man zu beobachten. Erstens sind die, die etwas Besseres sind, für all die unerfüllten Sehnsüchte des feineren Geistes mit ihrer narzisstischen Selbstzufriedenheit genug entschädigt, und zweitens sind Getriebene (vom tierischen Leben bestimmte Vernunftlose) niemals glücklich, sprich es gibt keine zufriedenen Schweine.

Es soll nicht über geistig Wehrlose gespottet werden, aber auch keine Kritik an den Schlägern geistig Wehrloser hervorgebracht werden. Es soll sowohl über den Unverstand als auch über den bloßen Verstand hinaus gehen - zur Vernunft. Sagt jene nicht, dass wenn du dich moralisch korrekt benimmst, du auch bekommst, was du verdienst, wenn nicht im Dies- , dann spätestens im Jenseits? Dürfen wir nicht hoffen, dass unsere moralische Selbstaufopferung uns im anderen Leben mit Glück und Zufriedenheit vergolten wird? Ja, so Kant. Nein, so Schiller.

Im Essay über das Erhabene geht es Schiller unter anderem um zufriedene Schweine, und zwar nicht um Drecksschweine, sondern um Schweine, die sich aufopferungsvoll bemühen, sauber zu bleiben. Diese Schweine haben die Bergpredigt gehört und die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gelesen, und meinen, hoffen zu dürfen, dass man ihnen tut, was sie anderen tun, und dass es für moralisch korrektes Verhalten im Jenseits Lohn gibt. Einer hat 5000 Moralpunkte, und somit das Anrecht auf gefühlte zehn Jahre im Paradies der zweiten Klasse, ein anderes Schwein hat sich so zwanghaft sauber gehalten, dass es ganze 700000 Moralpunkte erworben hat, und mit ihnen die Berechtigung auf gefühlte 75 Jahre Paradies der höchsten Klasse. Es ist so lächerlich, wie es sich liest.

Das Leben sorgt für ein gewaltiges Minus auf dem Glückskonto eines moralischen Menschen. Wird dieses Konto im Jenseits ausgeglichen, ist dieser Mensch fertig mit Gott und der Welt, und kann wieder dem Nichtsein überreicht werden. So liest sich intuitiv jede Ethik, die aus Moral Ökonomie macht. Gelitten, getröstet, zufrieden. Verdient, genossen, fertig. Das soll es gewesen sein? Das Leben? Der endletzte Sinn von Moral, Ethos und Würde? Nein, ein Geist kann nur Unendlichkeit fordern.

Ja, ein Geist kann nur Unendlichkeit fordern, und Unendlichkeit geben: ich werde immerfort das Gute tun, ohne einen Lohn zu erwarten, - ich tue es aus Prinzip, aus Stolz, aus Erhabenheit meines Gemüts. Ich werde das unendliche Glück erhoffen, und nicht bloß das Glück, das ich mir zu verdienen in der Lage war. Ich will alles, oder ich will nicht sein. Ich gebe alles, oder ich bin ein Nichtswürdiger.