Sonntag, 4. Juli 2021

Kognitive Funktionen III: Intuition

 

 

 

Ich kannte den Begriff eine lange Zeit nur durch den Ausdruck "weibliche Intuition". Weiblich ist aber das Fühlen, nicht die Intuition: das (männliche) Denken richtet sich nach den Sätzen der Logik, z. B. dem Satz der Identität und dem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs. Das (weibliche) Fühlen lässt zwei widersprüchliche Gefühle zugleich zu, z. B. Angst und Abscheu vor einer Vergewaltigung und die lustbesetzte Vergewaltigungsphantasie. Der Mann interpretiert dies entweder so: "Unschuldiger Engel, muss beschützt werden" oder "Dreckige Nutte, will vergewaltigt werden". Er will mit dem Denken Gefühle verstehen, und das ist unmöglich: Gefühle werden mit dem Einfühlen (Empathie) verstanden.

Aber was ist Intuition? Eine wahrnehmende, keine wertende kognitive Funktion. Wahrnehmung wird intuitiv mit Sinnlichkeit gleichgesetzt. Wie das Wort "intuitiv" im Satz verwendet wird, zeigt, dass Intuition kein Denkakt ist, sondern auf alle vorangegangenen Denkakte rekurriert. Intuition ist nicht sinnliches, sondern geistiges Wahrnehmen. Gefühlt ist Intuition näher am Denken als am Fühlen: Daniel Kahneman nennt das, was der kognitiven Funktion der Intuition entspricht "schnelles Denken" und das eigentliche Denken "langsames Denken". Intuition ist aber mehr als anstrenglungsloses Denken auf Autopilot.

Der intuitive Verstand sieht das Ganze, das bloße Denken ohne Intuition würde keinen Wald erkennen, sondern nur Bäume. Wenn die Definition von Wald "100 und mehr Bäume" wäre, würde das Denken die Bäume zählen und durch das Ergebnis feststellen, ob es sich um einen Wald handelt. Und ist es wirklich ein Fehler, wenn die Intuition in Bruchteilen einer Sekunde 98 Bäume als einen Wald erkennt?

Extravertierte Intuition (Ne) ist Bäuerinnenschläue, extravertiertes Fühlen (Fe) ist kognitive Empathie. Der weibliche, nicht trennende, sondern verbindende Zugang zur Außenwelt, braucht keine langen Analysen, um die Lage zu checken. Dominieren diese beiden Funktionen (wie insbesondere bei ESFJs und ENTPs), ist es leichter, herauszufinden, was andere wollen, als was man selbst will. Introvertierte Intuition (Ni) ist dagegen das Zielsuchgerät der individuellen Sinnfindung und konzentriert die Willenskraft auf einen Punkt.