Sonntag, 4. Juli 2021

Kognitive Funktionen IV: Sinnlichkeit

 

 

 

"Nichts war im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen war". Der Satz ist Legende. Und noch legendärer die Antwort: "Außer dem Verstande selbst". Locke wollte nichts gelten lassen, was auch in einem Gehirn im Tank passieren könnte: der Rationalismus kann die Denkimmanenz nicht durchbrechen. Doch Leibniz wusste, dass es unerlässlichst des Verstandes bedurfte, um die empirische Mannigfaltigkeit zu deuten. Kant fällte schließlich den Richterspruch der Vernunft, dass die Sinnlichkeit ohne das Denken blind, und das Denken ohne das Material der Sinneseindrücke leer sei.

Nur die sinnliche Wahrnehmung verbindet das Bewusstsein, scheinbar unmittelbar, mit etwas außerhalb seiner selbst. Intuitive Wahrnehmung ist interpersonal, also vermittelt. Schmerz und Begierde zeigen die Sinnlichkeit als das existenziell Ursprüngliche. Und dieses Ursprüngliche ist außen, während das Fühlen innen an der Außengrenze, das Denken noch weiter im Inneren und die Intuition das Innerlichste ist.

Eine Erinnerung an frühere In- und Reinkarnationen könnte, sofern für möglich gehalten, nur durch Intuition geleistet werden, aber niemals logisch bewiesen, ja nicht einmal rational behauptet werden. Die wertenden Funktionen Denken und Fühlen kennen das Wissen, das Glauben und das Meinen. Die wahrnehmende Intuition kennt das Ahnen, die wahrnehmende Sinnlichkeit kennt die unmittelbare sinnliche Gewissheit, die durch das Denken widerlegt (Hegels Phänomenologie des Geistes) und durch das Fühlen bezweifelt wird (pyrrhonische Skepsis).