Freitag, 12. April 2013

Das Nihilium des Nichts




Das Gebot

Am Anfang war das Nichts, und es ist nirgendwohin verschwunden. Um es zu finden, gehe nirgendwohin oder nach Nirgendwo. Am Ende wird das Nichts sein, oder nichts wird sein, und es ist weder zu vernichten noch vor seiner Vernichtung zu bewahren. Das Nichts fordert nichts von dir, und diese Forderung soll dein einziges Gebot sein.

Die Ursache

Das Nichts ist nicht verursacht und nicht selbst Ursache. Was aus dem Nichts entsteht, entsteht und vergeht in Freiheit. Was verursacht ist, ist vor dem Angesicht des Nichts nichtig. Was Ursache sein will, unterschlägt die Endnichtigkeit der Wirkung. Was unmittelbar nichtig ist, vermittelt Vernichtung. Es gibt kein sinnvolles Handeln, das auf einer Ursache gründet. Was im Endzweck nichtig ist, ist dasselbe, denn der Zweck ist ebenso eine Ursache. Handle nicht wie ein Automat nach Ursachen und Zwecken, handle in Freiheit aus dem Nichts.

Die Negation

Alles, was sich dem Nichts entgegenstellt, in dem es sich selbst als absolut behauptet, bekommt sein Recht in deiner Negation. Alles Kontingente ist dem Nichts eine Möglichkeit, ob verwirklicht oder unverwirklicht. Du kannst nur feststellen, dass es genauso anders oder überhaupt nicht sein könnte. Alles Sein behauptet sich selbst als ein Sollen, um sich zu erhalten. Es gibt jedoch keine gesetzgebende Realität, es gibt nur ein unmittelbares So. Das Vorgefundene ist der Negation des Vorfindenden ausgeliefert, -  schreckt er vor der Negation zurück, äußert er seinen Willen, das Vorgefundene in seiner Soheit zu erhalten. Die Gesamtheit der liebgewonnenen Soheiten ist der Grad der Selbstnegation; alles, was du selbst nicht bist, zu erhalten, führt deine Existenz in einen Zustand der Schuld.

Die Schuld

Indem du deinen Willen daran hängst, der Vernichtung Ausgeliefertes zu erhalten, kreditierst du kontingentes Seiendes. Da es dein Wille ist, dieses Seiende in seinem Sosein zu erhalten, bist zu zugleich Gläubiger und Schuldner. Im Falle der Vernichtung, der vollzogenen Negation eines Seienden durch ein anderes Seiendes, oder der Veränderung des Soseins des zu erhaltenden Seienden, verfällt der Gegenstand deines Glaubens, aber die Schuld bleibt dir als Schuldigkeit, dasselbe Seiende in seinem Sosein wiederherzustellen, erhalten. Die Gesamtheit dessen, woran du glaubst, ohne es evident vor dir zu haben, stellt deine Existenzschuld dar.

Der Glaube

"Ich glaube an Gott" bedeutet also nur "Ich habe einen Gott auf Kredit". Der geglaubte Gott ist ein Tempel, auf Spekulationssand gebaut, eine Seifenblase, ein vom Willen umhülltes Nichts. Jedes Nichts, das du vereinzelst, dem ewigen Nichts entreißt, erhöht deine Existenzschuld. Bald erscheint dir die Hölle, der Ort der sogenannten Gottesferne, oder des besser zu nennenden Willensbankrotts. Die Hölle ist, nicht loslassen zu können, aber sich vom auf bloßen Glauben hin Angenommenen nicht trennen zu wollen.  Das Eigentliche ist dein Eigentum: was ohne dein zutun da ist, gehört dir, was du aber durch deinen Glauben in Besitz nimmst, ist Eigentum des Nichts, welches du ebenjenem schuldest.

Mittwoch, 10. April 2013

Des Zufalls Hirte




In Hegels Naturphilosophie ist eine Evolution der Lebewesen durchaus möglich, aber nicht notwendig. Die Naturphilosophie nach Darwin geht hingegen von einer durch Zufall geleiteten aber notwendig fortschreitenden Evolution aus. Als Begründung für die immer komplexer werdenden Organismen werden die Nullen hinter der Zahl, die das Erdalter ausdrückt, angeführt: ist die Zeit lang, kann das Undenkbarste passieren. Oder, Polemik beiseite, - warum vertilgt der Zufall nicht die komplexeren Lebensformen kurz nach deren zufälliger Entstehung, wo ihre Ontogenese doch viel störungsanfälliger ist, als die der primitiveren Erdenbürger? Ohne dies zu explizieren, setzt also die moderne Naturphilosophie (die diesen Namen natürlich ablehnt, da sie keine Metaphysik, sondern seriöse Wissenschaft sein will) dem Zufall einen unsichtbaren Hirten vor, der den Zufall mit seinen Würfeln am Nasenring in die Regionen hinaufführt, in denen sich am wahrscheinlichsten drei Sechsen werfen lassen.

Dem Zeitgenossen ist der Hirte unter dem Namen "Evolution" bekannt: die Evolution als tätiges Subjekt der Evolution. Wer Metaphysik verwirft, findet seine Metaphysik in der Zauberei. Der Metaphysiker Hegel weiß hingegen, dass Evolution durchaus nicht widernatürlich ist, was sie aber nicht notwendig macht. Dass die Natur nämlich unter logischen Gesetzmäßigkeiten steht - die in der Naturwissenschaft als Naturgesetze erkannt werden können - , ist noch kein Grund, die ganze Natur unter ein einziges (besonders schönes, elegantes oder einfaches) Gesetz zu zwingen.

Dienstag, 9. April 2013

Psychokratie



Wenn die öffentliche Meinung die Meinung der Öffentlichkeit ist, dann gehört die Öffentlichkeit in die Geschlossene.

Ungewollt kinderlos?



Das Leid aller ungewollt Kinderlosen dieser Welt zusammen ist eine geringere Tragödie, als das Schicksal eines einzigen ungewollten Kindes.

Samstag, 6. April 2013

Das Bösondere




Es kann keine seelenheiltechnischen Extrawürste geben, und einer, der aufgrund besonderer Verdienste oder aus vermeintlicher Erwählung solche für sich beansprucht, kann niemals Gegenstand der Bewunderung werden, und muss vielmehr Ekel auslösen. Ob gemeiner Verbrecher, König oder Religionsstifter, ein Übeltäter kann nicht nach einem besonderen Gesetz selig werden, sondern muss eine totale Demütigung in der Vernichtung seines das Böse gewählt habenden Willens erfahren; die Reinheit des heiligen Ortes, der gemeiniglich der Himmel genannt wird, duldet keine ungewaschene Sau, wiewohl keine gewaschene, mit ihrem Herzen am Drecke hängende Sau.

Donnerstag, 4. April 2013

Zynische Bescheidenheit




Wer von Liebe spricht, und diese vom vulgären Balzen abhebt, stellt sich unvermeidlich über die Balzenden, für die das Wort Liebe nur eine Floskel ist. Viel sympathischer erscheint jemand, der "erkannt" hat, dass alles eben nur ein Spiel unserer Gene ist, und alles Interesse an dem anderen Geschlecht bloß evolutionär bedingt ist.

Der Romantiker erniedrigt zwar die Eitelkeit des Balztänzers, aber er bietet im Gegenzug etwas Positives an: die romantische Liebe, welcher jedes menschliche Wesen grundsätzlich fähig ist. Jener aber, der den Balztänzer freundlich anguckt, ist ein Zyniker, der das Paarungsspiel ebenso als nichtig enthüllt, aber keine Alternative bietet.

Steht denn der hier Zyniker genannte nicht bescheidenerweise auf derselben Stufe, wie das gemeine Volk? Nein, denn auch er schaut sich die Balztänze von oben an, und "erkennt" sie als evolutionär bedingte Notwendigkeit, und somit in ihrer konkreten Gestalt als beliebig und nichtig. Stünde er auf derselben bescheidenen Stufe wie der Paarungswillige, würde er nicht über das Balzen als Solches nachdenken, sondern darüber, wie er selbst beim anderen Geschlecht erfolgreich werden könnte. Ist er bereits erfolgreich, so ist diese Sache für ihn kein Thema mehr. Wer jedoch selbst die wohlwollendste Sicht auf etwas aus einer höheren Perspektive vertritt, tritt bereits die von ihm wohlwollend Betrachteten, denn er steht mit seiner Perspektive über ihnen.

Mittwoch, 3. April 2013

Ich hätte gekonnt haben können




Ein junger Mann steht auf einer Klippe und schaut ins Weite. Die Welt steht ihm offen. Er kann reisen, erfinden, entdecken, kämpfen, spielen, lernen, - er kann leben. Er hat aber Angst vor dem Leben, aus welchem psychologischen Grund auch immer. Da er auch Angst vor dem Tod hat, kann er sich nicht einfach in den Tod zurückziehen, um vor dem Leben zu fliehen. Er wählt den Stand-By-Modus: er gründet eine Familie, er heiratet.

Eine junge Frau steht auf einem Gipfel, blickt auf den herrlichen weißen Gletscher herab: die Königin der Welt. Liebe und Schmerz, Wissen und Macht, Sinn und Sinnlickeit: die Welt steht ihr offen. Das Leben ist kurzweilig und herrlich, unberechenbar wie ihre eigene Psyche, die sie aber wiederum aus welchen Gründen auch immer zur Angst vor dem Leben erzieht, zum Rückzug zwingt, - doch auch die Frau wählt den Tod nicht, sie heiratet, sie bekommt ein Kind.

Ach, wäre ich bloß nicht gebunden gewesen, rechtfertigt sich der Mann im "besten" Alter für all das Verpasste; ach, hätte ich bloß kein Kind bekommen, seufzt die vierzig- bis fünfzigjährige Frau. Aber ihre Kinder, sie werden es besser machen, als ihre Mütter und Väter, sie werden dann endlich leben - oder?

Dienstag, 2. April 2013

Selbstundurchsichtigkeit




Für Kant gilt, dass der kategorische Imperativ ohne große intellektuelle Begabung in seiner Richtigkeit einzusehen und in seiner Bedeutung zu begreifen ist. Ein moralischer Mensch handelt, so Kant, aus Pflicht, nicht bloß pflichtgemäß, d. h. die Pflicht ist ihm der unbedingte Bestimmungsgrund seiner Handlungen. Handle so, dass du die Menschheit in deiner eigenen Person wie in jedem anderen Menschen immer als Selbstzweck behandelst, und nie als bloßes Mittel, heißt eine der praktischeren Formulierungen des Hauptsatzes des praktischen Vernunft.

Nun geht man gewöhnlich auch davon aus, dass, wenn man zu etwas verpflichtet ist (ob innerlich oder durch äußeren Zwang), man doch wenigstens stets wissen kann, ob man die Pflicht erfüllt. Das bestreitet Kant aber, was zunächst empörend ist, - aber mal ehrlich: wenn du etwas Ungutes getan hast, das dir eindeutig zugerechnet werden kann, woran du die Schuld trägst, empfindest du aufrichtig Reue, weil du unmoralisch gehandelt hast, oder ärgerst du dich, weil die Tat dir selbst geschadet hat, und nicht die beabsichtigte Wirkung zeigte? Wenn du etwas tust, was moralisch geboten ist, tust du es schon deshalb gern, weil es das Richtige ist, oder immer nur dann, wenn du es sowieso getan hättest? Wenn du mit der Pflicht haderst, weil das Richtige zu tun in einem konkreten Fall mit deinen zufälligen Interessen nicht übereinstimmt, was ärgert dich, - die Schwäche deines Charakters oder der bei richtigem Verhalten zu erwartende Nachteil?

Selbst die eigenen Motive sind einem nicht immer bewusst. Man kann immer nur wissen, ob man pflichtgemäß gehandelt hat, also ob man dasjenige getan hat, was geboten war, - aber nicht, ob man es auch tatsächlich allein aus Pflicht getan hat, und nicht aus anderen verborgenen Motiven. Eine herbe Enttäuschung für die schöne Seele, die sich selbst als edel und rein genießen will, da sie stets das Gute tut, weil es das Gute ist, und das auch noch mit Freude. Eine notwendige Zurückweisung des moralischen Eigendünkels durch den durchdachtesten der Denker, denn Hegel, der erkenntnisreichste, wird zeigen, dass die Moralität als reine Innerlichkeit unmittelbar in das Böse umschlagen kann.

Montag, 1. April 2013

Sinn und Schönheit




Das Schöne ist der unmittelbare Sinn des Lebens: es ist der Sinn des Lebens, bevor man überhaupt die Frage danach stellt; fragst du dich nach dem Sinn des Lebens, so wurde der ursprüngliche Sinn - die angeborene Hoffnung auf die Begegnung mit dem Schönen in Liebe - in deinem Leben vereitelt.