Freitag, 22. Dezember 2017
Vom Muhen und Beten
Wer glaubt, wird selig, und Mystik ist, wenn man so fest glaubt, dass man glaubt, dass man nicht mehr glaubt, sondern weiß. Mystik ist, so fest im Glauben zu sein, dass man eins mit Gott ist, nicht wahr? Ein erfrischendes Nein dazu durchströmt Meister Eckharts ganzes Werk, und Meister Eckhart ist nicht irgendwer. Am Beginn einer langen Katastrophenzeit, besser bekannt als die Renaissance, hat inbrünstiges Beten um die Wette Hochkonjunktur. Ob Gott´s erhört? Tut er, er hat keine Wahl. So wie er das Muhen der Kühe erhört, erhört er das extatische Beten der Eiferer. Für ihn ist es dasselbe. Allwissend, weiß er, wem das extatische Beten gilt - der Muhkuh selbst, die da Gott anmuht. Ganz ohne Anmut, aber mit viel Mut - Gott ist, wie Mensch weiß, allwissend, und so müsste Mensch doch wissen, dass wenn er zu Gott betet für Glück, Sinn und Seelenheil wie zur Kuh wegen der Milch, er für den als Kuh angebeteten dieselbe Kuh ist.
Je inbrünstiger der Mensch betet, je enbehrungsvoller er fastet, umso mehr glaubt er, Gottes Gnade zu verdienen. Denken hilft nicht nur im Straßenverkehr. Wenn´s Gnade ist, dann ist es unverdient. Wenn´s verdient ist, ist es nicht Gnade. Wer von Gott einen Lohn fordert, hat seinen Lohn - biblisch gesagt - bereits erhalten. Newton wusste als gläubiger Christ: Aktion = Reaktion; indem man durch Riten und Rituale seinen Glauben festigt, erhält man den festen Glauben als Lohn. Aber wir wissen doch, dass wir eigentlich eine Extraportion Milch wollen! Gott soll mich für inbrünstiges Beten, entbehrungsvolles Fasten und gute Werke im Lotto gewinnen lassen, mir einen Sexualpartner zuweisen, mich schöner, reicher, glücklicher machen, - denkt der da betet, und beleidigt Gott, denn er nennt ihn einen Zauberer.
Gott soll für ihn die Naturgesetze und den Weltlauf aufheben - durchaus nicht zu viel verlangt, wie wir noch sehen werden, aber es geht nicht um viel oder wenig, es geht ums Prinzip. Die uneingeschränkte Gültigkeit der Naturgesetze ist die Voraussetzung für die physische und moralische Freiheit des Menschen - nur wenn die Menschen davon ausgehen können, dass die Naturgesetze immer gleich bleiben, können sie in einer gemeinsamen Welt leben, logische Gesetze erkennen, in der Realität sein. Diese Realität soll Gott für den Betenden nun aufheben, um ihn für seinen Glauben zu belohnen. Der Liebe ist´s nicht zu viel, allein würde Gott dem Beschenkten die Freiheit und die Realität nehmen, dessen konsistentes Selbst in ein Bündel von Empfindungen auflösen, ihn im Endeffekt vernichten. Wer beim Beten Gott um etwas Bestimmtes bittet, bittet Gott, er möge ihn vernichten, und Gott unterlässt es weil er den Betenden nicht zu wenig, sondern zu viel liebt.
Mittwoch, 20. Dezember 2017
Das Vaterunser: ein Nichtgebet
Jesus, so glaubt der gemeine Christ, lehrte zu beten:
"So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. Gib uns heute das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen" (Matthäus 6,9-13, Einheitsübersetzung).
Geläufiger ist der folgende Wortlaut:
"Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]" (Mt. 6,9-13, Luther 1984).
Da aller guten Dinge drei sind:
"So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel! Mach deinen Namen groß in der Welt. Komm und richte deine Herrschaft auf. Verschaff deinem Willen Geltung, auf der Erde genauso wie im Himmel. Gib uns, was wir heute zum Leben brauchen. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir allen vergeben haben, die an uns schuldig geworden sind. Lass uns nicht in die Gefahr kommen, dir untreu zu werden, sondern rette uns aus der Gewalt des Bösen" (Mt. 6,9-13, Gute Nachricht Bibel).
Worum lehrt Jesus zu bitten? Um nichts anderes, als Gott selbst, sein Reich, seinen Willen, seine Eigenschaft als Welterhalter; um die Barmherzigkeit, die im Wesen Gottes bereits enthalten ist - um nichts, was nicht schon da ist.
Das Vaterunser handelt vom Allgemeinen und von Gott, nicht von einzelnen Wünschen und partikularen Interessen. Das Gebet um täglich Brot ist keineswegs als eine Aufforderung der Beseitigung des Hungers in der Welt zu verstehen, sondern: erhalte uns als Menschen, erhalte die Menschheit.
"Dein Wille geschehe" bedeutet, dass der Betende jeden besonderen Wunsch vor Gott aufgibt und seinen Willen dem göttlichen Willen unterordnet - was nicht heißen soll, dass er seine persönlichen Wünsche und Ziele aufgibt und auf seinen individuellen Willen verzichtet: er bittet Gott nur nicht darum, Gott möge seinen einzelnen Willen über den Willen anderer Menschen und Gottes selbst setzen.
Hieraus muss deutlich werden, dass das Vaterunser - formal ein Gebet - ein Nicht-Gebet ist, kein Gebet in der geläufigen Bedeutung. Das Vaterunser bezeugt, dass der so betende Christ darauf verzichtet, Gott wie eine Kuh melken zu wollen. Das Vaterunser besagt im Grunde nichts als: Gott, du bist Gott.
Warum der Christ - über das bereits Gesagte hinaus - es sich dreimal überlegen und sich siebenmal bekreuzigen sollte, bevor er im herkömmlichen Sinne betet, soll an den folgenden Thesen deutlich werden:
1. Wer betet, versichert sich seines Glaubens vor sich selbst. Beten ist Glaubenstraining für schwachen Glauben. Wes Glaube stark ist, braucht sich nicht seines Glaubens zu versichern, sondern hat ihn in allen Launen und Lebenslagen.
2. Wer für einen Anderen betet, beleidigt diesen und Gott, da er sich erstens näher zu Gott wähnt als dieser Andere und zweitens Gott näher bei sich glaubt als bei dem Anderen. Mag der, für den man groberweise betet, gottlos sein, so gibt es dennoch keinen Grund, Gott zu unterstellen, sich um diesen Gottlosen weniger zu sorgen als um den Gläubigen.
3. Wer betet, um Gott zu gefallen, gefällt sich selbst in dieser Alibiveranstaltung; anstatt durch seine Lebenshaltung Gott zu gefallen, will er magischerweise durch Worte und Gesänge Gott eine Ehre erweisen. Ein derartiges Beten ist selbstbetrügerisch und gottlos.
4. Wer Beten für ein gutes Werk hält, soll aufhören zu beten. Nur Gott kann durch sein Wort gute Werke wirken, und wer durch blosse Worte gute Werke zu wirken glaubt, maßt sich an, wie Gott zu sein.
Samstag, 16. Dezember 2017
Vom Richten
Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet? Ein schöner Trinkspruch. Nein, im Ernst: ein sympathischer Ansatz, insbesondere für ein Gefängnis. Jeder hat etwas ausgefressen, also lieber den Mund halten. Der Chef vergewaltigt ab und zu die Sekretärin? Halt dich da raus. Der Nachbar ist ein Kinderschänder? Mund hatlen. Kann ja sein, dass auch du Leichen im Keller hast, - vielleicht hat dich mal jemand bei Rot die Straße überqueren sehen.
Im Ernst: richtet nicht? Leben und leben lassen hört sich furchtbar tolerant an, ist aber eher furchtbar als tolerant. Eine passende Regel für eine Verbrecherbande.
Nein, richtet! Besser: urteil! Kritisiert, deckt auf, schweigt nicht! Sagt, was Sache ist, kehrt das Böse nicht unter den Teppich. Oft sind vermeintliche Gemeinheiten nur Missverständnisse, aber wer nichts anspricht, bekommt auch keine Antwort. Und wenn es sich tatsächlich um Bosheit handelt, schweigt erst recht nicht, auch wenn ihr selbst keine Engel seid.
Richtet nicht! Duckt euch! Ist das euer Ernst? Das soll christlich sein? Niemals über einen Menschen ein endgültiges Urteil fällen: das ist christlich. Der Mensch soll sich keine göttlichen Kompetenzen anmaßen.
Aber wer sich und andere moralisch mundtot macht, indem er sich selbst und seinen Mitmenschen moralische Urteile über die Handlungen anderer verbietet, verliert auch seine menschlichen Kompetenzen. Richtet nicht! - ein mieser kleiner Trick, der zum Glück auch nur bei den Dümmsten funktioniert, - oder aber bei denen, die die Hosen gestrichen voll haben.
Dienstag, 12. Dezember 2017
Das Monster
Ein nihilistischer Umgang mit Kindern, sprich eine Erziehung, die das Kind dazu bringt, unter allen Umständen zu funktionieren, erschafft Monster. Nein, Kinder sind keine Monster, und werden es auch nicht dadurch, dass man ihnen Schaden zufügt. Ich spreche vom Du-darfst-nicht-so-fühlen-Monster, diesem grausamen Biest, das viele Kinderseelen auf dem Gewissen hat. So darf das Kind niemals Gefühle wie Enttäuschung, Wut, Trauer empfinden, sondern muss immer fröhlich und gehorsam sein. Von vielen Kindern ergreift das Monster Besitz, und sie leben auch als Erwachsene all ihre Beziehungen in der Gefangenschaft des Monsters, wobei sie diese Gefangenschaft womöglich als Schutz empfinden: wenn der Andere nicht funktionieren will, wird das Du-darfst-nicht-so-fühlen-Monster herausgeholt, und der Lebenspartner, der gute Freund, das eigene Kind so lange emotional erpresst, bis er lernt, seine wahren Gefühle zu unterdrücken, und die von ihm erwarteten Gefühle vorzuspielen - auch sich selbst. In der Regel zerbrechen dadurch alle Beziehungen - was gut ist, weil das Monster sich dann nicht Sieger nennen darf - , aber eine leider nicht: die Beziehung zum wehrlosesten und schutzbedürftigsten Menschen, zum eigenen Kind.
Die erste Regel in menschlichen Beziehungen muss daher lauten: du darfst so fühlen, wie du fühlst! Es ist das Recht auf nicht nur emotionale Integrität, das in diesem Zusammenhang die obige Formulierung erhält, - es ist auch das Selbstzweckprinzip, dass der Mitmensch niemals bloß ein Mittel zum Zweck sein darf, sondern auch als ein Selbstzweck gesehen werden muss. Nun gibt es - polemisch vereinfacht - zwei Sorten von Menschen, nämlich jene, die selbstsüchtig lieben, und jene, die selbstlos lieben. "Lieben" wohlgemerkt im umgangssprachlichen, nicht im streng wissenschaftlichen Sinne gemeint. Die Selbstsüchtigen versuchen, Menschen, die ihnen wichtig sind, an sich zu fesseln; die Selbstlosen lassen Menschen, die ihnen etwas bedeuten, lieber frei. Beide haben subjektiv-emotional Recht, wenn sie behaupten, aus Liebe zu handeln: die Selbstsüchtigen lieben so sehr, dass sie nicht loslassen können; die Selbstlosen wollen einem geliebten Menschen unter keinen Umständen Leid antun. Was ist daraus zu lernen? Gar nichts, versteht sich, denn an allem sind doch die Erfahrungen in der Kindheit schuld! Ein solcher Fatalismus ist für einen der genannten Typen witzigerweise sehr hilfreich. Aber für die Vollnihilisten sei gesagt: selbst jemand, der nur an sein eigenes Wohl denkt, der keine Skrupel kennt, der es lächerlich findet, nach moralischen Prinzipien zu handen, wird nicht bestreiten können, dass eine Beziehung - egal welcher Art - , die man für den Anderen zum Gefängnis macht, um ihn bloß nicht zu verlieren, rein hedonistisch gesehen, eine Katastrophe für beide Seiten ist.
Freitag, 8. Dezember 2017
Das Streben nach Glück
Der Utilitarismus ist eine Philosophie des Glücksstrebens. Benthams Utilitarismus, der höhnisch auch "pig philosophy" genannt wird, will nur das größte Glück der größten Zahl. Der Zweck heiligt dabei die Mittel. Quantitativer Utilitarismus. Aber es gab nach Bentham ja noch Mill und andere, die den Utilitarismus durchaus zu einer "human philosophy" weiterentwickelten. In seinem berühmten Buch "Utilitarianism" sagt Mill: "Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein". Aber Moment, war nicht das Glück, das Zufriedensein das höchste Ziel? Gewiss. Dann ist ja Zufriedenheit der Selbstachtung übergeordnet, und jeder qualitative Utilitarismus nur Augenwischerei.
Lassen wir Gnade walten. Geben wir der Totgeburt "qualitativer Utilitarismus" eine Chance. Wir können ja eine Pyramide der Glückseligkeit aufbauen, auf welcher es höhere und niedere Genüsse gibt. Je höher auf der Pyramide das, was einer zu seiner Glückseligkeit so macht, umso "menschischer" ist er, und je niedriger der Genuss, zu dem einer fähig ist, umso "schweinischer" ist er. Errichten wir eine dreistufige Pyramide:
Niederste Stufe: Fressen, Saufen, Sex, Gewalt, Folter, Mobbing, Verleumdung, Lästerei, Fernsehen, Popmusik.
Mittlere Stufe: Lesen, Forschung, Lyrik, Sport, Familie, Nachbarschaftshilfe, Theater, klassische Musik.
Höchste Stufe: Meditation, Kontemplation, Barmherzigkeit, Nächstenliebe.
Nun sagt jemand, ihm mache Gedichteschreiben, Romanelesen und Sporttreiben Spaß; zwar höre er peinlicherweise zum Sport Popmusik, aber ansonsten sei er ein stolzer Utilitarist der mittleren Stufe. Ein anderer sagt, er meditiere den ganzen Tag, wenn es nichts zu helfen gibt, und wenn er niemanden retten muss. Ein edler Mensch, ein Utilitarist der höchsten Stufe. Vor den Schweinen ist der Utilitarsmus damit gerettet. Was fehlt, ist die Verbindlichkeit. Man merkt der stufenweisen Aufteilung den Unernst und die Beliebigkeit ja an, doch das ist noch nicht das Entscheidende. Es geht um die Frage, warum dieses Gedankengebäude für mich verbindlich gelten soll.
Ein religiöser Mensch weiß, dass Gottes Gebote verbindlich sind, denn hinter ihnen steht das Absolute, die unendliche Güte und Allmacht Gottes. Das ist eine zwingende, wenngleich bloß äußere Verbindlichkeit. Was eine innere Verbindlichkeit ist, die auch ohne Religion auskommt, lernt man bei Kant, insbesondere in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und in der Kritik der praktischen Vernunft.
Donnerstag, 7. Dezember 2017
Gattung und Perversion
Als Perversionen gelten gewöhnlich alle Varianten der Sexualität, die nicht im Dienste der Gattung stehen. Dass Homosexualität heute in einigen Gesellschaften nicht mehr als Perversion gilt, ist eine große zivilisatorische Errungenschaft. Dass alle Moralität aus der Sexualität verbannt wurde, und Sexualität nur noch nach abstraktem Recht in legitime und illegitime unterteilt wird (als legitim gilt alles, was zwei oder mehrere mündige Personen aus freien Stücken miteinander vereinbaren), ist der eigentliche Sittenverfall der Moderne.
Die Gattung ist amoralisch, die privilegierte Sonderstellung der Heterosexualität entspringt keiner göttlichen, sondern bloß einer natürlichen Ordnung. Das Natürliche ist nicht heilig: es ist profan, amoralisch, nihilistisch. Wenn wir es bei natürlichen Bewertungskriterien belassen, und keine Moralität im Sinne Kants in die Sexualmoral einführen, können sogenannte Perversionen nicht als schlecht oder böse gelten, sondern allenfalls als luxuriös. Dem natürlichen Bewusstsein gilt jeder Genuss, der nicht dem Leben und der Gesundheit des Organismus gilt, als schädlicher Luxus: ob leckere Speisen, Süßes, Alkohol oder Drogen. Genauso kann der sexuelle Genuss über bloßen gattungsdienlichen Paarungstrieb hinaus vom natürlichen (amoralischen) Standpunkt aus nicht als unmoralisch verurteilt, sondern nur als Luxus beneidet werden.
Der natürliche, amoralische Mensch (und dazu gehört die breit grinsende Mehrheit) hat also nicht das geringste Recht, über Vergewaltiger oder Pädosexuelle moralisch zu richten, denn dieser potentielle Lynchmob ist bloß neidisch auf den sexuellen Luxus, den sich einige Mitbürger aus welchen Gründen auch immer leisten können. Nur von einer substanzmetaphysischen Sexualmoral aus können sexuelle Perversionen moralisch verurteilt werden, wobei die Schwere der moralischen Schuld an der Beschädigung oder Zerstörung der heiligen Unschuld konkreter Individuen gemessen werden muss, während die unheilige Gattung dabei nicht zu berücksichtigen ist.
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