Samstag, 16. Dezember 2017
Vom Richten
Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet? Ein schöner Trinkspruch. Nein, im Ernst: ein sympathischer Ansatz, insbesondere für ein Gefängnis. Jeder hat etwas ausgefressen, also lieber den Mund halten. Der Chef vergewaltigt ab und zu die Sekretärin? Halt dich da raus. Der Nachbar ist ein Kinderschänder? Mund hatlen. Kann ja sein, dass auch du Leichen im Keller hast, - vielleicht hat dich mal jemand bei Rot die Straße überqueren sehen.
Im Ernst: richtet nicht? Leben und leben lassen hört sich furchtbar tolerant an, ist aber eher furchtbar als tolerant. Eine passende Regel für eine Verbrecherbande.
Nein, richtet! Besser: urteil! Kritisiert, deckt auf, schweigt nicht! Sagt, was Sache ist, kehrt das Böse nicht unter den Teppich. Oft sind vermeintliche Gemeinheiten nur Missverständnisse, aber wer nichts anspricht, bekommt auch keine Antwort. Und wenn es sich tatsächlich um Bosheit handelt, schweigt erst recht nicht, auch wenn ihr selbst keine Engel seid.
Richtet nicht! Duckt euch! Ist das euer Ernst? Das soll christlich sein? Niemals über einen Menschen ein endgültiges Urteil fällen: das ist christlich. Der Mensch soll sich keine göttlichen Kompetenzen anmaßen.
Aber wer sich und andere moralisch mundtot macht, indem er sich selbst und seinen Mitmenschen moralische Urteile über die Handlungen anderer verbietet, verliert auch seine menschlichen Kompetenzen. Richtet nicht! - ein mieser kleiner Trick, der zum Glück auch nur bei den Dümmsten funktioniert, - oder aber bei denen, die die Hosen gestrichen voll haben.