Freitag, 30. März 2018

Atheistischer Altruismus





Der zeitgenössische Utilitarist Peter Singer hält den Menschen mit ungenierter Selbstverständlichkeit für ein bloßes Tier, fordert aber, dass jeder mindestens 10% seines Einkommens für Entwicklungshilfe spendet, und auch sonst seinen Mitmenschen hilft, wo er nur kann, und stellt dies sogar ethisch höher als individuelle Selbstverwirklichung (obwohl er solch radikaler Individualist ist, dass er nicht von Affen und Menschen, sondern von Individuen spricht: dieser Mensch, dieser Gorilla, und folglich Menschenrechte für Tiere fordert).

Vom Ergebnis her gesehen, ist Singers Einstellung lobenswert, was aber ihre logischen Voraussetzungen betrifft, erweist sie sich als beliebig, und darum ethisch unhaltbar. Der Selbstwiderspruch ist folgender: warum soll ich, einzigartiges Individuum, meine Selbstverwirklichung zurückstellen, damit andere Individuen, die nicht Ich sind, ein besseres Leben haben, - wenn der Individualismus so weit gehen soll, dass er zwischen Menschen und Tieren keinen Unterschied macht? Individualismus bedeutet: meine Bedürfnisse (z. B. in die Oper gehen zu können und einen großen Geländewagen zu fahren) sind wichtiger als Hunger und Krankheit der Menschen in armen Ländern. Altruismus bedeutet: es zählt nicht, wessen Bedürfnisse befriedigt werden, sondern welche. Somit wäre es wichtiger, arme Menschen zu heilen, als Steuergelder für luxuriöse Opernhäuser zu verschwenden.

Der offensichtliche Selbstwiderspruch wiegt hier jedoch nicht so schwer wie das Fehlen einer ideellen Basis für Altruismus und Utilitarismus im Allgemeinen: die meisten Menschen sind schlecht, einige böse, nur wenige gut. Warum soll ich mich um das Wohlergehen schlechter Menschen kümmern, oder gar meine Lebenszeit und mein Geld dafür opfern, um ihnen zu helfen? Was ist gut daran, dass es schlechten Menschen gut geht? Eine schwache Erwiderung wäre: aber hin und wieder trifft deine Hilfe auch einen guten Menschen! - Wenn wir nun den Unterschied zwischen guten und schlechten Menschen fallen lassen, müssen wir fragen: was geht es mich überhaupt an, wie es anderen Menschen geht?

Mit Kant ist die Sache klar: der kategorische Imperativ fordert in seinen logischen Ableitungen, sich selbst immer der Glückseligkeit würdig zu verhalten, und das Wohl seiner Mitmenschen zu befördern (denn ich bin machtlos, zu bewirken, dass sich andere Menschen moralisch verhalten). Wenn ich Gott als den transzendentalen Garanten für das höchste Gut (das Zusammenfallen von Würdigkeit und Glückseligkeit in einer anderen Welt) annehme, macht es Sinn, selbst schlechten Menschen zu helfen, weil es für diese einen Sinn hat, sich zu bessern.

Wenn anstelle Gottes das große Nichts auf alle wartet, habe ich keine Veranlassung zu glauben, dass ein egoistischer Mensch zu seinem eigenen Nachteil handeln und sich moralisch bessern wird; nicht dass ich aus moralischen Gründen bereits im Konkurrenzkampf mit ihm im Nachteil wäre (aus der moralisch gebotenen Rücksicht), nein, ich soll auch noch sein Wohl befördern!? Der Schlechte lebt nach seiner Lust, und der Gute soll seine Bedürfnisse zurückstellen und ihn dabei unterstützen?