Montag, 12. März 2018
Ist Enthaltsamkeit eine moralische Leistung?
Es gibt Menschen, die kein Verlangen nach Sex verspüren (zumindest behaupten das manche von sich, und haben bereits eine Asexuellenbewegung ins Leben gerufen). Wenn diese Menschen auf Sex verzichten, ist der Wert ihrer Leistung exakt Null, denn sie kämpfen mit ihrem Verzicht gegen kein Verlangen an. Es gibt Menschen, die schon als Dreijährige eine Viertelstunde auf zwei Kekse warten konnten, anstatt einen Keks sofort zu essen (ein wichtiges psychologisches Experiment, das schon bei Kleinkindern Vorhersagen mit hoher Wahrscheinlichkeit über ihre zukünftige Leistungsfähigkeit erlaubt). Diese Menschen schieben ihren Sex auf, weil sie lieber später guten Sex als sofort schlechten Sex haben wollen. Im Extremfall geht das so weit, dass sie ihr ganzes irdisches Leben lang enthaltsam leben, weil sie im Jenseits eine Belohnung dafür erwarten, die natürlich jeden im Diesseits möglichen Sex in den Schatten stellt. Die Enthaltsamkeit dieser Menschen ist zwar eine Leistung, aber keine moralische, denn sie beruht auf einem Handel: heute verzichten, morgen genießen.
Vom nihilistischen Standpunkt ist es nicht zu erklären, warum manche Menschen nach absoluten moralischen Prinzipien handeln. Menschen, die nach dem Prinzip leben, andere immer als Selbstzwecke zu behandeln, und niemals als bloße Mittel zum Zweck, werden auf Sex verzichten, weil der andere beim Sex auf ein Lustobjekt reduziert wird, und somit seine Menschenwürde verliert. Ein Mensch mit einem starken sexuellen Verlangen, der aus Prinzip auf Sex verzichtet, vollbringt eine moralische Leistung, - jedoch nicht immer, denn das Prinzip selbst kann auch nicht-moralischer Natur sein. Ein Mensch, der viele Demütigungen und Enttäuschungen erfahren hat, und der sich darüber im Klaren ist, dass sein soziosexueller Status eher niedrig ist, wird, anstatt sich um niedrigrangige Sexualpartner zu bemühen, lieber gänzlich auf Sex verzichten, aber nicht aus moralischen Gründen, sondern aus verletztem Stolz. Er wird sich aus einer selbstsüchtigen Trotzreaktion heraus für etwas Besseres halten, wird aber beteuern, auf Sex aus moralischen Gründen zu verzichten. Rein technisch ist sein Verzicht eine Leistung, moralisch aber eine Heuchelei.
Eine moralische Leistung wird beim Sexverzicht erbracht, wenn ein Mensch, der in einer nihilistischen Gesellschaft lebt, - wenn seine moralischen Prinzipien überhaupt nicht gewürdigt werden, und ihm stattdessen Befriedigungsaufschub, Heuchelei oder sexuelles Nichtkönnen vorgeworfen werden, - und allein aus moralischer Pflicht, seine Mitmenschen stets als Selbstzwecke zu behandeln, und deren Würde niemals mit Füßen oder Genitalien zu treten, auf Sex verzichtet.