Aus
Beobachtung, Erzählung und Erfahrung weiß ich, dass glückliche Menschen
sich weniger als unglückliche um ihr Leben sorgen, während unglückliche
Menschen sich im Leben mehr Sorgen machen und auch mehr Angst vor dem
Tod haben. Der, dem es gut geht, müsste doch das Leben mehr schätzen und
den Tod mehr fürchten als jemand, der "eh nichts zu verlieren hat"?
Doch dem ist nicht so. Das ist scheinbar ein Paradox.
Glück ist ein positives Gefühl. Es wird nicht als Abwesenheit von
Unglück erlebt (wie Schopenhauer behauptet). Leben und Tod gehören
zusammen, das Gegenteil beider ist das Nichts (Gumiljows weise Einsicht). Wer glücklich ist, dessen Glücksgefühl überträgt sich auch
auf die Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit, und der Tod erscheint
nicht mehr als Bedrohung des mit dem Leben verbundenen Glückszustandes.
Der Glückliche nimmt das Leben wie es kommt, er ist ja zufrieden damit.
Glücklichsein ist kein Abstraktum, das sich über eine bestimmte
Jahreszahl an Lebenserwartung erstreckt, sondern etwas Konkretes, das im
Jetzt erlebt wird. Daher gibt es bei glücklichen Menschen keinen
Erlebnismaterialismus und auch keine Sorgen um die Zukunft. Ich bin
jetzt glücklich; sterbe ich heute, so sterbe ich so glücklich, wie ich
gerade bin.
Unglück ist ein negatives Gefühl. Es ist die leidvolle Abwesenheit von
Glück, das man begehrt und sich vorstellt. Unglückliche haben die Sorge,
das erhoffte Glück nie zu erleben und auch die Angst, dass ihr Leben
endet, bevor sie Glück erlebt haben. So klammern sie sich an das Leben
und fürchten den Tod. Oder sie klammern sich an den Tod als das
Versprechen eines glücklichen Jenseits und hassen das Leben, können es
aber nicht beenden, weil sie nicht sicher sind, ob etwas nach dem Tod
kommt, und was das sein wird. Sterben, ohne gelebt zu haben, ist keine
glückliche Aussicht; aber auch das Weiterleben im unglücklichen Zustand
macht nur Angst und Sorgen.