Es gibt die Mutter und die Dirne, so
Otto Weininger. Es gibt die Mutter und die Hure, so Nawalt Migtowsky. Es
gibt die Mutte und die Nutter, so... oder so: das Chthonisch-Weibliche
steht unter keinem geistigen oder seelischen Prinzip mehr, sondern unter
dem materiellen Prinzip der Vagina. Der Gynozentrismus jeder
menschlichen Kultur ist tellurisch, chthonisch ist der Vaginozentrismus:
hier geht es nicht mehr um die Frau als Frau, die Frau als Mutter, die
Frau als Bewahrerin der Gattung.
Kybele, auch bekannt als Rhea, hatte
viele Kinder: Zeus, Poseidon, Hades, Demeter, Hera und Hestia. Sie hatte
sie mit dem Titanen Kronos gezeugt, dem Herrn der Zeit. Dieser kam zur
Herrschaft über die Welt, indem er Uranos, den ewigen Himmel, entmannte.
Die Tengrianer sehen es übrigens nicht so: nach ihrer Ansicht ist bei
Uranos noch alles beisammen. Zeus wurde zum Gott dieser Welt, Hades zum
Gott der Unterwelt, Poseidon zum Herrn der Meere, die für die alten
Griechen eine Sonderwelt zwischen dem Dies- und dem Jenseits waren.
Hera herrscht nach außen in der
gynozentrischen Kultur der Menschen, Hestia nach innen. Demeter ist die
Mutter als Mutter, das tellurische Prinzip. Feministisch gewendet, ist
die weltimmanente Demeter der Gott dieser Welt, Gottmutter, die
transzendente Hera die Göttin des Jenseits, und Hestia die Göttin der
Zwischenwelt. Das mütterlich-weibliche Prinzip ist aufgeteilt und bedarf
keiner Sondermutter. Das sieht Kybele anders.
Es gab schon in der Antike Kulte, die
nur Kybele verehrten. Diese nahmen zu den Zeiten der Dekadenz zu. Kybele
ist die Mutter schlechthin, mehr Mutter als Frau, mehr Mutter als
Göttin, einfach die entfesselte Mutterschaft, und somit ganz die Tochter
ihrer Mutter Gaia. Die materielle Mutter, unter keinem geistigen
Prinzip stehend, gebiert Ungeheuer. Die Vagina ist das Tor zur Hölle.
Und dieses Tor ist beiderseitig begehbar.
Die Sehnsucht der Dirne nach dem
Verbrecher wird bei Otto Weininger nicht in ihrer ganzen Tiefe
diskutiert. Das selbstsüchtige Weib, das den Koitus als Selbstzweck, und
nicht zum Zweck der Mutterschaft, anstrebt, will nicht den vernünftigen
Mann, sondern das lüsterne Männchen. In der Ultradekadenz gilt als
männliches Ideal der phallische Mann, die niedrigste Form der
Männlichkeit. Noch weiter unten steht das Tier.
Und hier wird es erst interessant:
Will Jane Porter wirklich den Menschen Tarzan, oder steht der
Affenmensch nur stellvertretend für den Menschenaffen? Das Tier, der
Werwolf, der Vampir, das Monster: kein Rapper, kein Dealer, kein
Gangster ist nur annähernd so sexy. Und letztlich sehnt sich doch die
ultradekadente chthonische Frau nach Sex mit lovecraftschen Gestalten:
im totalen Krieg der Materie gegen die Form wird der Ekel zum Orgasmus.
Das Problem ist nur: der Körper der
chthonischen Frau ist ein menschlicher Körper, entstanden nicht in der
Formlosigkeit der bloßen Materie, sondern nach einem geistigen Prinzip.
Die Form wird in der Gestalt des schönen weiblichen Körpers als Geisel
genommen, und der die Schönheit liebende Betrachter – jeder Kulturmensch im Grunde –
durch die Vergewaltigung des wohlgeformten weiblichen Körpers durch das
Form-Minderwertige oder Formlose gefoltert. Diese Folter des Zuschauers
(bzw. des davon Wissenden oder Ahnenden) macht den chthonischen
Orgasmus aus.