Der
Erste (dritte) Weltkrieg gilt als das größte Waswärewenn in der
Geschichte der Geschichte: was, wenn dieser Selbstmord Europas nicht
stattgefunden hätte? Hätten wir vielleicht eine EU als Welthegemon mit
USA und Russland als deren Wachhunde der westlichen resp. östlichen
Halbkugel? Wäre die Welt für immer und ewig eine europäische
Wertegemeinschaft der Menschenrechte und Demokratie?
Ob links-aufklärerisch/liberal-progressiv oder
eurozentrisch-rassistisch: beide Standpunkte ewigen Bedauerns des
Stattgefundenseins von 1914-1918 sind träumerisch-romantischer Natur. Es
gab nie eine europäische Wertegemeinschaft, es gab immer Krieg gegen
sich selbst in Europa. Das Abendland kennt stolze drei dreißigjährige
Kriege mit Millionen Toten: 1618-1648, 1789-1815, 1914-1945. Alle drei
hinterließen Zerstörungen, von denen sich die westliche Hochkultur nie
wirklich erholte.
Der erste dreißigjährige Krieg senkte den Vitalwert Europas und öffnete
das Tor zur Frühmoderne: die materialitisch-nihilistische Aufklärung,
der Moralverfall in den Phänomenen Empfindsamkeit und Rokoko, der
philosophische Siegeszug des Utlitarismus (Hedonismus der Massen). Der
zweite dreißigjährige Krieg senkte den Vitalwert noch einmal und Europa
verabschiedete sich von seiner humanistisch-barocken Thymosgesellschaft:
die Eros-, die Giergesellschaft des Proprietarismus entstand. Von da an
regierte das Geld die Welt. Der dritte dreißigjährige Krieg senkte den
Vitalwert unter das natürliche Niveau und es begann die ultradekadente
Postmoderne.
Welcher dieser „Selbstmorde Europas“ sollte am besten nicht
stattgefunden haben? War nicht jeder gleich verheerend, aber auch
gleichermaßen in der Logik der europäischen Geschichte begründet?