Dass
das Ich begrifflich betrachtet „einfache Negation“ ist, erschließt sich
auf dem Höhepunkt der abendländischen Philosophie dem deutschen
Idealisten Hegel. In der Frührenaissance beginnt das humanistische Ich
seine Reise als lebensbejahendes aktives, aggressives, kreatives und
nach Ruhm, Geld und Macht strebendes Subjekt. Doch wer das Leben bejaht,
kann sich selbst im Leben verlieren. Und hier kommt Savonarola ins
Spiel.
„Simplify your life“ ist nicht der Punkt: natürlich forderten schon der
heilige Franziskus und viele große Mönche und Eremiten Jahrhunderte vor
ihm, dass wir zur gottgefälligen Einfachheit zurückkehren. Das war bloß
Ethik. Hier geht es um eine existentielle Frage. Egal, wie groß, reich
und mächtig ich bin, ich bin sterblich. Da ich das Zentrum meiner Welt
bin, ist mein Ende der Weltuntergang. Verabsolutiere ich mein Ich, wird
für ebenmich mein Leben sinnlos. Das ist die Dialektik der Ich-Religion.
Um das Ich in die Transzendenz zu retten, muss ich das Leben negieren.
Weltflucht, Lebensfeindlichkeit, Züchtigung des Fleisches: in der
Hauptstadt der Renaissance predigte der erste negative Nihilist der
Geschichte genau das. Um mein Ich vor der Sterblichkeit zu retten, muss
ich das Sterbliche an ihm töten. Historisch ist Savonarola, nicht Jan
Hus oder John Wyclif, der erste Reformator. Eng gesehen, geht es der
Reformation um eine Reform der Kirche bzw. des christlichen Glaubens.
Doch im Zeitalter des Humanismus ist der Staat die Kirche und der Glaube
ist nicht christlich.
Auf die lebensbejahende Renaissance folgte die lebensverneinende
Reformation, gefolgt vom lebensbejahenden Barock und der
lebensverneinenden Aufklärung. Am Ende einer Verneinungsbewegung sind
die mentalen Kräfte erschöpft, man nimmt wieder die Vergänglichkeit im
Kauf, wenn man dafür ein paar schöne Tage genießen kann. Nur einen
Sommer gönnt, ihr Gewaltigen! Die Romantik ist als wiederverzaubernde
Gegenbewegung der entlarvenden Aufklärung der Beginn des bürgerlichen
Zeitalters, das Unbehangen in welchem sich im europäischen
Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts entlädt.
Die Vollendung fand der negative Nihilismus bei Emil Cioran. Der größte
Philosoph des 20. Jahrhunderts zeigte die Unmöglichkeit weiterer
Affirmation und ebenso die Sinnlosigkeit abermaliger Negation. In
ironischer Bejahung begrüßte er den Beginn der Nazizeit von
Transsylvanien aus, über die begeisterte Affirmation der Machtergreifung
durch Heidegger konnte er nur schmunzeln. Der Faschismus war die letzte
große Negationsbewegung. Was danach folgte, war posthumane Affirmation:
der Wille zum Nichts.