Der
sogenannte Sex ist im Kulturzustand Ausdruck tiefster Intimität; Sex in
der Kultur ist nicht die ungezügele Entfaltung der Sexualität, genauso
wie Staat in der Kultur nicht grenzenlose tyrannische Gewalt bedeutet.
In der Dekadenz wird im Beziehungssex ein Gleichgewicht zwischen
Intimität und Hedonismis angestrebt; kommt das Gleichgewicht nicht
zustande, wird das Fremdgehen zur Option, damit auch der Hedonismus
ausgelebt werden kann. Im Zustand der Ultradekadenz wird Sexualität
überwiegend oder ausschließlich unter dem hedonistischen Aspekt
betrachtet: "Sex mit einer Jungfrau ist wie Schach mit einem Anfänger".
Jungfräulich in eine intime Beziehung zu gehen bedeutet, noch nie eine
so tiefe Intimität mit einem anderen Menschen erlebt zu haben.
Romantische Liebe strebt an, der/dem Geliebten so nahe zu sein, wie
niemals zuvor ein anderer war. Ein Kulturmensch strebt in einer
Paarbeziehung exklusive Intimität an. Daher sind auch bestimmte sexuelle
Praktiken undenkbar, da sie den anderen zu einem Objekt degradieren.
Liebe und Sexualität sind die Pole* der Beziehungsachse: der Nordpol der
Liebe bedeutet eine sexlose Beziehung mit tiefster emotionaler
Intimität; in den Polarbreiten der Liebe wird der Körper als die
Verlängerung der Psyche erlebt, und körperliche Nähe als Seelenkuscheln.
In den gemäßigten Breiten kommt der Hedonismus ins Spiel, in den
traurigen Tropen wird er zur Hauptsache, und am Äquator der menschlichen
Natur wird Sexualität ausschließlich hedonistisch erlebt.
Weder ist das Verlangen nach Sex eine logische Folge des Verliebtseins
noch ist der Sexualtrieb eine Suche nach Liebe. Die unreflektierte
Vermischung von Liebe und Sexualität zeigt, dass beides Teil der
menschlichen Natur ist, das Geistige und das Tierische. Nicht der Sex an
sich ist "schmutzig", sondern das Ausnutzen einer Intimität, die Liebe
meint, für den bloßen hedonistischen Sexualakt.
*Eine lyrische Metapher, kein geometrisch korrektes Gleichnis.