Sonntag, 21. Februar 2021

Intimität und Hedonismus

 

 

  

Der sogenannte Sex ist im Kulturzustand Ausdruck tiefster Intimität; Sex in der Kultur ist nicht die ungezügele Entfaltung der Sexualität, genauso wie Staat in der Kultur nicht grenzenlose tyrannische Gewalt bedeutet. In der Dekadenz wird im Beziehungssex ein Gleichgewicht zwischen Intimität und Hedonismis angestrebt; kommt das Gleichgewicht nicht zustande, wird das Fremdgehen zur Option, damit auch der Hedonismus ausgelebt werden kann. Im Zustand der Ultradekadenz wird Sexualität überwiegend oder ausschließlich unter dem hedonistischen Aspekt betrachtet: "Sex mit einer Jungfrau ist wie Schach mit einem Anfänger".

Jungfräulich in eine intime Beziehung zu gehen bedeutet, noch nie eine so tiefe Intimität mit einem anderen Menschen erlebt zu haben. Romantische Liebe strebt an, der/dem Geliebten so nahe zu sein, wie niemals zuvor ein anderer war. Ein Kulturmensch strebt in einer Paarbeziehung exklusive Intimität an. Daher sind auch bestimmte sexuelle Praktiken undenkbar, da sie den anderen zu einem Objekt degradieren.

Liebe und Sexualität sind die Pole* der Beziehungsachse: der Nordpol der Liebe bedeutet eine sexlose Beziehung mit tiefster emotionaler Intimität; in den Polarbreiten der Liebe wird der Körper als die Verlängerung der Psyche erlebt, und körperliche Nähe als Seelenkuscheln. In den gemäßigten Breiten kommt der Hedonismus ins Spiel, in den traurigen Tropen wird er zur Hauptsache, und am Äquator der menschlichen Natur wird Sexualität ausschließlich hedonistisch erlebt.

Weder ist das Verlangen nach Sex eine logische Folge des Verliebtseins noch ist der Sexualtrieb eine Suche nach Liebe. Die unreflektierte Vermischung von Liebe und Sexualität zeigt, dass beides Teil der menschlichen Natur ist, das Geistige und das Tierische. Nicht der Sex an sich ist "schmutzig", sondern das Ausnutzen einer Intimität, die Liebe meint, für den bloßen hedonistischen Sexualakt.

 

*Eine lyrische Metapher, kein geometrisch korrektes Gleichnis.