Sonntag, 13. Juni 2021

Liebe und Sex: Weiningers Differenzierung

 

 

 

"Ich mag Miezen" bedeutet nicht "Ich stehe auf junge Frauen", aber es hängt damit zusammen. Wenn ich eine Mieze liebe, will ich keinen Sex mit ihr, sondern liebe sie; dennoch wird sie gerade durch die Liebe zum Objekt der Begierde. Warum?

Nach Otto Weininger verhält sich Liebe zur Sexualität wie Hoffnung zur Furcht. Die Furcht ist die Schattenseite der Hoffnung, ihre Negation: wenn ich hoffe, dass A passiert, fürchte ich zwangsläufig, dass A nicht passiert.

Wenn ich im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers wohne, kann ich tiefer und tödlicher aus dem Fenster fallen als vom Balkon eines zweistöckigen Hauses. Je höher die Höhe, umso tiefer kann der Fall sein.

Je schöner das Mädchen, umso wertvoller die Unschuld, und größer die Angst vor deren Verlust. Nur die Realisierungsmöglichkeit macht den Wert real. Wenn ich nicht 200 Stockwerke tief fallen kann, wohne ich nicht wirklich im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers. Wenn die Mieze nicht in einem Rausch sexueller Entropie vernascht werden kann, ist ihre Schönheit nicht real.

Sexuelle Begierde ist wie die Furcht, jemand anders könnte deine 1000 Euro teure Flasche Whisky stehlen und austrinken. Wer die Furcht nicht aushält, trinkt den Whisky selber aus, bevor es jemand anders tut. Die Mieze selbst erlebt den Sexakt als Rausch der Entropie: Selbstrealisierung durch Selbstkonsum/Selbstgenuss; durch sexuelle Selbstzerstörung wird maximale Selbstwirksamkeit erlebt.

Natürlich handelt es sich bei der Betrachtung um reine idealisierende Liebe und ihren sexuellen Schatten. Es handelt sich nicht um Alltagssex, der eher gemeinsamer Masturbation gleicht.