Montag, 21. August 2023

MGTOW-Narrative II: Incels

 

 

 

Du bist unattraktiv für Frauen, weil du schüchtern oder klein oder arm oder schwarz oder Inder bist oder schwul aussiehst.



All das wird zusammengefasst zu den Incels (involuntary celibates). Im Gegensatz zu den MGTOW wollen die Incels Beziehungen eingehen, aber Frauen wollen sie nicht. Die MGTOW grenzen sich auch stolz von den Incels ab, und geben sich ordentlich Mühe, zu beweisen, dass sie wirklich nicht wollen. Aber Gelegenheit macht Triebe. Erst wer die Möglichkeit hat, weibliches Interesse zurückzuweisen, ist überhaupt in der Lage, herauszufinden, ob er ein echter MGTOW oder "nur" ein Incel ist. Da auch die meisten MGTOW diese Möglichkeit nicht haben (durch vorauseilende Selbstisolation), existiert der Unterschied zwischen MGTOW und Incels nur formal.

Überraschung: viele Frauen mögen schüchterne Männer. Es gibt also keine shycels. Bei Körpergröße sind Frauen nur in der Theorie (oder in künstlichen Ultrakonkurrenz-Biotopen wie Tinder) sehr wählerisch, ansonsten kommen auch die kurzen Männer nicht zu kurz. Aber die Incels unter six feet tall nennen sich shortcels. Geld spielt zwar immer eine Rolle, aber ist es nicht so, dass die Incels besonders wütend werden, wenn sie von armen ausländischen Männern (fuckboys) ausgestochen werden? Doch arme Incels nennen sich poorcels. Es gibt Rassismus, aber es ist auch Tatsache, dass schwarze Männer von allen "Rassen" neben Weißen am attraktivsten sind. Es gibt also auch keine blackcels. Und die Inder? Ja, südasatische Männer haben besonders in den USA, wo alle Ethnien vertreten sind, und um die weißen Frauen konkurrieren (die meisten US-Amerikaner sind immer noch weiß), durchaus das Nachsehen. Aber wiederum befinden sich ethnocels in einer künstlich hergestellten Ultrakonkurrenz-Situation. Was ist mit "schwul aussehenden" Männern? Kommen sie automatisch immer in die friendzone? Allein dieses toxische Wort ist unausstehlich, weil es Freundschaft zwischen den Geschlechtern vergiftet. Wenn schwule Männer für Frauen oft besonders attraktiv aussehen, ist der Begriff gaycel doch ein Selbstwiderspruch.

Wo ist also, verflucht nochmal, das Problem? Warum kriegen manche keine ab? Weil sie unattraktiv sind. Aber nie aus einem einzigen Grund. Wer krank, entstellt, behindert oder hässlich von Natur ist, der hat wahrlich mit seinem Schicksal zu hadern: auch diese Menschen haben ein Bedürfnis nach Zweisamkeit, Paarbeziehung und Sex. Und wer regt sich darüber auf, dass solche Menschen automatisch nie als Partner in Betracht kommen? Incel, check your privilege!

Bevor ich die MGTOW und die Incels überhaupt kannte, in meinen frühen 20-ern, hatte ich das gleiche Problem. Keine Frau wollte mich! Ein Skandal, aber keine von diesen Frauen, deren Körper wie mit Photoshop bearbeitet und deren Gesichter wie mit morphthing.com perfektioniert aussahen, ging jemals auf mich zu und fragte mich nach einem Date! Und ich tat so, als würde ich das Offensichtliche nicht sehen: ich wollte entweder perfekte Schönheit oder nichts. In meinen späten 20-ern war mir Nichts schließlich gut genug, ich war Mystiker und Eremit. Ich dachte einfach, dass eine schöne Frau später (nach dem Tod) ein Teil jener Glückseligkeit sein würde, deren Würdigkeit jetzt (in diesem Leben) zu beweisen war. Ich musste einfach ein Leben lang warten, das ist alles. Problem gelöst.

Dann kamen die MGTOW-Youtuber, und ich fand es als Weiningerianer einfach angenehm, jemanden so wie ich selbst mit 23 reden zu hören. Herrlich depressivistisch, nihilistisch, und nur bei übertriebenem Selbstmitleid schaltete ich weg. Weil ich keine Chance auf eine Schönheitsprinzessin hatte, beschloss ich, dieses Leben allein zu verbringen. Wohlgemerkt, wollte ich nicht einmal eine Chance (mit der einherginge, etwas dafür zu tun), ich wollte, dass sie mich selbst aufsucht, weil sie (die schönste vorstellbare Frau) mich um meiner selbst willen liebt. So hoch waren meine Ansprüche. Damit ging aber keine Anspruchshaltung einher: ich dachte nicht, dass die Welt oder Gott mir dieses Glück schuldig sei. Es war nur so, dass ich als perfektionistischer Leistungsmensch dachte, dass es wenigstens in der Liebe nicht um Leistung gehen sollte, sondern um ein bedingungsloses Geschenk.

Was die Incels angeht: die Anspruchshaltung ist das Problem, selbst bei bescheidenen Ansprüchen. Sobald du denkst, dass das, was du begehrst, dir geschuldet wird, bist du auf einem Irrweg. Und mit der Bescheidenheit der Ansprüche wird die Anspruchshaltung nicht gerechtfertigt, sie wird damit nur entschuldigt. Wenn nun etwas zu hohe Ansprüche zu einer grundsätzlichen Anspruchshaltung (bei Nichterfüllung: Opfermentalität) dazukommen, entsteht immer Misserfolg. Nicht die anderen oder die Umstände sind schuld, sondern die Schuldsuche bei den Umständen oder den anderen.

MGTOW-Narrative I: Huren

 

 

 

Alle Frauen sind Huren.



Das ist ein Narrativ, das sich am liebsten als wissenschaftliche Erkenntnis aus der Evolutionsbiologie präsentiert. Vertreten wird es vom libertär-rechten Spektrum, und dort insbesondere von der manosphere, der libertären Männerbewegung, zu welcher lose Gruppen wie MGTOW (men going their own way), Incels (involuntary celibates) und Pick Up Artists (Aufreißer) gehören. Das wäre alles halb so relevant, wenn das schon alles wäre.

Wenn ein MGTOW-Youtuber nämlich kategorisch und explizit: "Alle Frauen sind Huren!" ruft, dann spricht er damit nur laut aus, was ohnehin alle denken. Nur dass die Narren der Gesellschaft sich trauen, das so explizit auszusprechen. Alle anderen denken: "Alle Frauen sind Huren", leise und traurig, als wäre das nunmal eine unvermeidliche Tatsache des Lebens. Männer denken das, weil Frauen nunmal so sind, und Frauen denken das von sich, weil das Leben nunmal so ist.

In diesem impliziten Glauben werden Mädchen erzogen, und damit auf Egoismus und Materialismus abgerichtet. So wird aus einem Narrativ ein Imperativ: bist du keine Hure, dann bist du keine richtige Frau. Es ist wie mit dem feministischen Narrativ "Alle Männer sind Vergewaltiger": letztlich sagt es jungen Männern, dass du kein Mann bist, wenn du kein Vergewaltiger bist.

Das Metanarrativ, das den stillschweigenden und nur von Narren laut ausgesprochenen Glauben an so einen Unsinn ermöglicht, heißt: "Der Mensch ist schlecht". Weil es auch zur weiblichen Natur gehört, schwanger zu werden und zumindest zeitweise einen männlichen Versorger zu brauchen, wird die Frau zum Parasiten des Mannes erklärt. In Wirklichkeit sind es nur kranke und kaputte Frauen, die sich nur für Geld an einen Mann binden. Keine Frau träumt von einem Mann, der nur Millionär ist, aber es ist natürlich vorteilhaft, wenn der Traummann auch Millionär ist.

Donnerstag, 3. August 2023

Rechte Narrative VII: Argumente

 

 

 

 

Nein, Narrative sind keine Argumente. Am politischen Stammtisch gilt: Wer argumentiert, verliert. Auch Totschlagargumente sind Argumente, und damit angreifbar. Unangreifbar sind Narrative. Auf ein Narrativ zurückzugreifen ist Framing. Wer ein Narrativ durchsetzen kann, setzt den Rahmen des Diskurses.

Wer die Flüchtlingsdiskussion auf das Narrativ "Das Boot ist voll" framet, zwingt den Opponenten, im Zusammenhang mit begrenzten Ressourcen und Aufnahmekapazitäten zu argumentieren. Das eigene Narrativ ist ein Heimspiel, der Gegner muss ein Gastspiel bestreiten.

Wer aus einer Position der Stärke sprechen kann, kann seine Narrative automatisch durchsetzen bzw. so tun, als wären sie bereits gültig. Der Gegner muss nicht nur argumentieren, sondern gegen ein Narrativ ankämpfen, das die Gegenargumente durch seine Struktur verzerrt. Ein Narrativ begünstigt Argumente, die nicht in einer kognitiven Dissonanz zu ihm stehen.

Ob in rechten, fundamentalistischen oder feministischen Kreisen: überall, wo es ein Set von etablierten Narrativen gibt, dringen die Argumente der Kritiker nicht mehr durch. Es ist so leicht, entlang der eigenen Narrative zu argumentieren, dass selbst der Denkfaulste im eigenen Frame automatisch recht behält.

Das Durchsetzen von Narrativen ist kommunikative Gewalt. Das ist das Gegenteil von intellektueller Redlichkeit bzw. eines "herrschaftsfreien Diskurses" nach Habermas. Selbst wenn alle Argumente innerhalb des eigenen Narrativs für sich genommen gültig sind, sind sie durch das Narrativ privilegiert und damit auf einer höheren Ebene unwahr.

Rechte Narrative VI: Diktatur

 

 

 

 

Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen!


Welche Freiheit? Die politische Freiheit, alle vier Jahre zu einer Bundestagswahl zu gehen, die jedesmal zu (mit Nuancen) denselben Koalitionen führt? Die ökonomische Freiheit, in einem kapitalistischen Arbeitsmarkt unter dem Primat der Gewinnmaximierung für die Bosse sich ausbeuten zu lassen? Ach ja, die Freiheit, in einer Pandemie ungeimpft und ohne Maske in die Kneipe zu gehen!

Wer nicht zu denen gehört, die durch ihre Kontrolle über die Wirtschaft die Politik bestimmen, hat nur negative politische Freiheiten: er wird nicht verhaftet, wenn er offen seine Meinung ausspricht, nicht gezwungen, im Land zu bleiben, wenn er es aus privaten oder ökonomischen Gründen verlassen will. Diese Freiheiten sind so selbstverständlich, dass es um sie in der Diktatur-Polemik grundsätzlich nicht geht.

Impfpass, Maske? Corona-Diktatur! Tempolimit? Freie Fahrt für freie Bürger! Sexualkundeunterricht? Keine staatlich verordnete Frühsexualisierung! Oder wir leben in einer Diktatur, das wird man wohl noch sagen dürfen.

Übrigens sind das, was die um ihre Freiheit Besorgten für Freiheitsrechte halten, erstens Privilegien, und zweitens selten welche, die sie selber haben. Theoretisch hat jeder die Freiheit, mit der eigenen Yacht die Weltmeere zu durchkreuzen, den eigenen Helicopter im Garten seiner Villa zu landen und seine Kinder in eine private Eliteschule zu schicken. Und praktisch gibt es Freiheitskrümmel wie die Möglichkeit, eine Protestpartei zu wählen, zu einer Anti-LGBT-Kundgebung zu gehen und einmal in der Woche für 15 Minuten mit 200 km/h über die Autobahn zu brettern.

Ein starkes Narrativ funktioniert so, dass ein großes Wort mit unendlichem Interpretationsspielraum, das idealerweise einen Wert bezeichnet, in seiner edelsten Bedeutung ausgesprochen wird, um beliebige moralisch fragwürdige Bedeutungen mitzutransportieren. Wenn deine Freiheit die Unfreiheit eines anderen bedeutet, verteidigst du nicht deine Freiheit, sondern dein Privileg. Fordert man dich auf, anderen dieselbe Freiheit zuzugestehen, die du dir selbst herausnimmst, wähnst du dich in einer Diktatur, die deine Freiheit einschränkt.

Rechte Narrative V: Frauenfussball

 

 

 

 

Fussball ist ein Männersport.


Als ich vor über 20 Jahren im englischsprachigen Teenchat einen Teenager aus den USA nach seinem Lieblingsfussballspieler fragte, nannte er eine Frau. Das erstaunte mich, aber ich erfuhr später, dass Fussball in den USA eher von den Mädchen gespielt wird, und die Jungen American Football spielen, was sich dann auf den professionellen Sport auswirkt. Der US-Amerikaner würde also schonmal über dieses Narrativ lachen und erwidern: "Bei uns ist Fussball Frauensport".

Es heißt oft, der Frauenfussball sei langweilig (zu wenige Fouls), langsam (Frauen rennen nicht so schnell), und sollte eigentlich gar nicht existieren. Dass Frauen körperlich schwächer als Männer sind, spricht aber den meisten anderen Sportarten, wo Frauen gegen Frauen antreten, die Legitimation nicht ab. Tennisspielende Frauen sind eine Selbstverständlichkeit, und da ich Männertennis und Frauentennis gleich selten schaue, erinnere ich mich noch gut an ein Spiel vor 20 Jahren, bei dem die Außenseiterin Shinobu Asagoe gegen die Favoritin Daniela Hantuchová mit viel Fleiß und Hingabe gewann. Der Siegeswille der Japanerin ließ mich mit ihr mitfiebern und nicht den Sender umschalten, bis das Spiel vorbei war.

Männerfussball ist kein großer Sport, sondern ein großes Spektakel. Aufgrund seiner Geschichte, die nicht aus dem Wert des Fussballsports heraus notwendig, sondern kontingent war, wurde er zur globalen Sportart Nr. 1 und zum Milliardengeschäft. Angesichts dessen "stört" der Frauenfussball: die Fussballorganisationen und die TV-Sender, die eine Infrastruktur um den Männerfussball aufgebaut haben, wollen ihren Vorrang in der Aufmerksamkeitsökonomie nicht aufgeben. Und der Zuschauer ist ein Gewohnheitstier.

Dass Deutschland bei der laufenden Fussball-WM zum ersten Mal in der Gruppenphase ausgeschieden ist, zeigt, wie weit sich der Frauenfussball weltweit entwickelt hat. Für die einstigen Dauersiegerinnen ist eine WM kein Selbstläufer mehr. Die Konkurrenz wird größer und die Turniere spannender. Mit steigendem Interesse des Publikums erhöhen sich die Preis- und Fernsehgelder, damit auch die Gehälter, und der Frauenfussball wird, wie der Männerfussball, immer athletischer und professioneller.

Mittwoch, 2. August 2023

Rechte Narrative IV: Biologismen

 

 

 

 

Es gibt nur Männer und Frauen! Wer damit nicht einverstanden ist, ist kein richtiger Mann! Ich bin kein Rassist, aber es ist doch klar, dass sich die Rassen unterscheiden! Man wird die Unterschiede doch wohl benennen dürfen! Intelligenz ist erblich, also...


Zu wissen, wie die geschlechtliche Fortpflanzung funktioniert, ist Biologie. Daraus Werte und Normen für "richtige" Männer und Frauen abzuleiten, ist Biologismus.

Die subjektive Erfahrung bezüglich eigener Geschlechtsidentität kann durch äußere normative Zuschreibungen nicht widerlegt werden. Die Erste-Person-Perspektive zu leugnen bedeutet, zu dehumanisieren. Neben "männlich" und "weiblich" gibt es sehr wohl auch "divers".

Die wissenschaftliche (nicht populäre) Biologie hat mithilfe der Genetik die Abstammung des Menschen zurückverfolgen können. Es gab eine Zeit, in der alle Homo sapiens schwarz waren. Die Hautfarbe (Pigmentation) ist eine evolutionsbiologische Anpassung an bestimmte Umweltverhältnisse. Allein aus der Hautfarbe kulturelle oder sogar die Persönlichkeit eines Menschen betreffende Schlüsse zu ziehen, ist rassistisch.

Es gibt, wissenschaftlich gesehen, keine Menschenrassen, sondern nur Populationen, die, bei längerer Anpassung an bestimmte Umwelten und bei Endogamie auf Populationsebene gemeinsame Erscheinungsmerkmale zeigen, die sie von anderen Populationen unterscheiden. Bei globaler Exogamie verschwinden allmählich auch diese Unterschiede.

Man mag es gut oder schade finden, dass es bald keine "echten" Schweden oder Senegalesen mehr gibt, aber letztlich ist unser Bild davon, wie ein "echter" Nordeuropäer oder Westafrikaner auszusehen hat, nur Gewohnheit. Es gibt nicht den Schweden an sich, es gibt keine platonische Idee des Schweden.

Intelligenz wird vererbt, aber auch Umweltfaktoren spielen eine große Rolle. Außerdem gibt es bei der Erblichkeit von Intelligenz eine Regression zum Mittelwert, sodass die Kinder von Genies nicht noch intelligenter werden, sondern eher zum Mittelwert der Population tendieren. Durchschnittliche IQ-Werte von Populationen kommen durch langfristige soziobiologische Selektion zustande. Kulturen, in denen intellektuelle Tätigkeiten zum Fortpflanzungserfolg führen, bringen intelligentere Populationen hervor. 

An Krieg oder Jagd angepasste Kulturen kultiveren andere Formen der Intelligenz als die, die mit dem IQ gemessen wird: emotionale Intelligenz (da die Fähigkeit zur kognitven Empathie in einer Kultur der physischen Konkurrenz ber Leben und Tod entscheiden kann), Intuition und Geschicklichkeit (dass ein ungeschickter Mensch als "Bewegungsidiot" bezeichnet wird, zeigt, dass es sich auch hier um eine Form von Intelligenz handelt).

Rechte Narrative III: Selbstverantwortung

 

 

 

 

Jeder ist seines Schicksals Schmied. Jeder ist durch seine Entscheidungen für die Ergebnisse in seinem Leben verantwortlich. Es ist allein deine Schuld, wenn du als Loser oder Penner endest. Wer die Gesellschaft, die Politik oder das Schicksal für sein Scheitern im Leben verantwortlich macht, sucht nur nach Ausreden!


Hier handelt es sich um eine Aussage, die, für sich genommen, wahr ist, aber als politisches Narrativ falsch. Aus religiöser und spiritueller Perspektive bist du nicht nur für die Konsequenzen deiner Handlungen verantwortlich, sondern auch für die Lebensumstände, in die du hineingeboren wurdest: theistisch betrachtet, hat dir Gott genau das Leben gegeben, das er in seiner unendlichen Weisheit für dich ausgesucht hat; dharmisch gesehen, wurden die Umstände deiner Geburt, einschließlich Erbkrankheiten und Behinderungen, von deinem Karma bestimmt.

Wendet man diese Aussage auf die sozioökonomischen Verhältnisse an, dann sagt man im Grunde, dass jeder, der halbwegs lesen und schreiben kann, Jura, BWL und Informatik studieren soll, und sich nicht später über Altersarmut beschweren, wenn er eine Geisteswissenschaft studiert oder eine brotlose Kunst erlernt hat. Noch konsequenter gedacht, bedeutet das wirtschaftlich rechte (neoliberale) Narrativ der Eigenverantwortung, dass die Gesellschaft eine Kampfarena konkurrierender Individualisten ist, und weiter nichts. Familie, Bildung, Religion, Kunst: all das ist nur dann relevant, wenn es dem egoistischen Homo oeconomicus nützt, ansonsten ist eine Entscheidung für die Familie zulasten der Karriere eine falsche Entscheidung und die Altersarmut infolge einer Scheidung die gerechte Konsequenz.

Eine neoliberale Robinsonade funktioniert nur, wenn das Leben als ein ökonomisches Ego-Shooter-Spiel verstanden wird, und die Mitspieler als NPCs (non-player characters). Allein schon die Existenz anderer als Personen, nicht bloße Objekte, sprengt den Solipsismus und somit den Primat des individuellen ökonomischen Erfolgs. Es gibt menschliche Beziehungen, es gibt Liebe, Leidenschaft, Talent, Berufung, Idealismus: vieles davon kann im echten Leben (Vorsicht: das "echte Leben" ist ein oft verwendetes rechtes Narrativ, und zwar im Kontext des Antiintellektualismus) Vorrang vor dem ökonomischen Erfolg haben, und zwar nicht, weil jemand ein Dummkopf, ein Wahnsinniger oder ein Loser ist, sondern weil er ein Mensch ist.

Ökonomische Formationen wie der Kapitalismus sind real und haben mehr Macht über die menschlichen Lebensverhältnisse als individuelle Entscheidungen. Eine Gesellschaft mit dem Primat der Wirtschaft zerstört oft die Möglichkeit, ein sinnvolles Leben zu führen. Das Narrativ der Selbstverantwortung ist selbst eine Ausrede, und zwar um über Privilegien, Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten hinwegzusehen.

Rechte Narrative II: Gutmenschen

 

 

 

 

Diese linksgrünversifften Gutmenschen mit ihrem naiven Weltbild!


Von oben betrachtet, ist es so, dass die Zuschreibung, ein Mensch oder eine Menschengruppe sei böse, meistens einer Projektion entspringt. Was man an sich selbst hasst, projiziert man auf andere. Für einen Edelmann versteht sich grundsätzliches Wohlwollen von selbst; Gutgläubigkeit und echtes Interesse an anderen Menschen unterscheiden eine Frau von Wert von einer selbstsüchtigen Narzisstin.

Objektiv gesehen, wissenschaftlich, spricht vieles dafür, dass nicht die Konkurrenz, sondern die Kooperation für zwischenmenschliche Interaktionen entscheidend ist. Hilfsbereitschaft und Wohlwollen werden unterschätzt, weil das Negative mehr ins Gewicht fällt als das Positive: eine schlechte Tat wird erst durch zehn gute Taten gleicher Größenordnung ausgeglichen, so ist unsere Wahrnehmung. Weil wir das Gute für selbstverständlich halten, konzentrieren wir uns auf das Schlechte. Je mehr schlechte Erfahrungen mit Mitmenschen einer gemacht hat, umso höher ist das Missverhältnis zwischen dem Guten und dem Schlechten in der Wahrnehmung anderer. Verbitterte Menschen nehmen das Gute an anderen gar nicht mehr wahr und sehen nur das Schlechte.

Natürlich gibt es auch diese scheinheiligen Heuchler, doch diese sind alles andere als naiv: als "Gutmenschen" mich als rassistisch, sexistisch usw. bezeichneten, meinten sie eigentlich: "Du gehörst nicht dazu". Mein moralischer Wert war ihnen in Wirklichkeit egal. Sie wollten ihre Fremdenfeindlichkeit mir gegenüber moralisch begründen, um weiterhin fremdenfeindlich sein zu können, aber sich nicht als schlechte Menschen fühlen zu müssen.

Der Mensch will sich als guter Mensch fühlen. Es ist leichter, vorzutäuschen, man sei ein guter Mensch (virtue signalling), als wirklich ein guter Mensch zu sein. Aber wir sollten nicht das Wichtigste dabei ignorieren: weder ist das Gute den meisten egal noch wollen sie als "Arschlöcher" gesehen werden. Das bedeutet nichts weniger, als dass die guten Absichten tatsächlich vorhanden sind, und wenn die Taten mit den hehren Worten nicht übereinstimmen, dann liegt es in den wenigsten Fällen an absichtlicher Täuschung, sondern in der Regel an Schwäche, Situationsdruck oder der Prägung durch soziale Umstände.

Das rechte Menschenbild, das von dem Dogma "homo homini lupus" ausgeht, ist naiver als der Glaube an das Gute im Menschen. Wäre das konsequent der Fall, könnte nie eine Gesellschaft entstehen, die größer wäre als die kleinen Gemeinschaften der Jäger und Sammler in prähistorischer Zeit. Dieses Dogma ist aber vor allem das, was die Rechten immerzu den linken "Gutmenschen" vorwerfen: es ist verlogen. Es ist eine Lüge, die vom Lügner selbst geglaubt wird, um sein eigenes asoziales und antisoziales Verhalten zu rechtfertigen.

Rechte Narrative I: Das Boot

 

 

 

 

Deutschland ist ein Boot. Dieses Boot ist voll. Wenn wir noch mehr Einwanderer hereinlassen, wird das Boot kentern, und wir werden alle sterben.


Dieses Narrativ werde ich von rechts kritisieren. Um keine Begriffsmissverständnisse aufkommen zu lassen, werde ich nicht mehr von einer radikal rechten Perspektive sprechen, sondern meine vormoderne Perspektive als einen Blick von oben bezeichnen (Adelsperspektive).

Zunächst einmal ist "Deutschland" kein statischer Zustand, zu dessen unveränderter Bewahrung deutsche Bürger verpflichtet sind: was Deutschland ist, hat sich in der Geschichte immer wieder verändert, und wird sich in Zukunft weiter veränden, auch wenn sich der "Volkskörper" dagegen wehrt. Und schließlich muss auch Deutschland bzw. das Abendland, wie jede andere Kultur, eines Tages sterben. Ein Aufruf zur Autoannihilation ist das freilich nicht.

Das "gesunde Volksempfinden" meint, Deutschland sei für Deutsche, Baschkortostan für Baschkiren, Udmurtien für Udmurten usw. Doch Deutschland ist realpolitisch gesehen längst ein abhängiger Teil der Europäischen Union, die nur als solche, und nicht in die Nationalstaaten zersplittert, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen kann. Baschkortostan und Udmurtien sind Teile der Russischen Föderation, die diesen Völkern Autonomie gewährt hat, und sie nicht etwa ausgelöscht, wie China die Dschungaren (derzeit begeht es einen Quasi-Völkermord an den Uiguren). Sollte die RF infolge des laufenden Kollapskriegs zerbrechen, wäre das für die weniger zahlreichen Völker keine Befreiung, sondern ein Weg ins Chaos, es sei denn, die Gründung einer Union der turksprachigen Völker wäre möglich.

Der von Anspruchsdenken und automatischen Privilegien für Autochthone geleitete Michel meint, jeder zum Volkskörper gehörende Bürger hätte das Recht auf lebenslange Versorgung. Die Wertschöpfung, die dafür notwenig ist, wird aber längst von international vernetzten Unternehmen geleistet, und würde bei einer Isolation Deutschlands zusammenbrechen. Will sich Deutschland vom Weltmarkt nicht isolieren, kann es sich auch von den Flüchtlingsströmen nicht abschotten, da der Weltmarkt zu den Fluchtursachen beiträgt.

Eine Einwanderung in die Sozialsysteme kann diese durchaus bis zum Kollaps erschöpfen. Dann müssen eben die Sozialleistungen für alle gekürzt werden oder ganz abgeschafft. Die Großfamilien werden die Versorgung der Alten übernehmen müssen, was bis auf wenige historische Ausnahmen immer der Fall war. Wird sich die Sozialstruktur Deutschlands verändern, müssen alle das beste daraus machen, und das ist keine zynische Feststellung, denn eine dynamische Gesellschaft bietet für alle mehr Chancen als eine statische.

Deutschland wird nicht dadurch gerettet, dass wir es einfrieren oder in eine Mumie verwandeln. Die deutsche Gesellschaft muss das Fitnesstraining bestehen, das sie für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stärkt.