Nein, Narrative sind keine Argumente. Am politischen Stammtisch gilt: Wer argumentiert, verliert. Auch Totschlagargumente sind Argumente, und damit angreifbar. Unangreifbar sind Narrative. Auf ein Narrativ zurückzugreifen ist Framing. Wer ein Narrativ durchsetzen kann, setzt den Rahmen des Diskurses.
Wer die Flüchtlingsdiskussion auf das Narrativ "Das Boot ist voll" framet, zwingt den Opponenten, im Zusammenhang mit begrenzten Ressourcen und Aufnahmekapazitäten zu argumentieren. Das eigene Narrativ ist ein Heimspiel, der Gegner muss ein Gastspiel bestreiten.
Wer aus einer Position der Stärke sprechen kann, kann seine Narrative automatisch durchsetzen bzw. so tun, als wären sie bereits gültig. Der Gegner muss nicht nur argumentieren, sondern gegen ein Narrativ ankämpfen, das die Gegenargumente durch seine Struktur verzerrt. Ein Narrativ begünstigt Argumente, die nicht in einer kognitiven Dissonanz zu ihm stehen.
Ob in rechten, fundamentalistischen oder feministischen Kreisen: überall, wo es ein Set von etablierten Narrativen gibt, dringen die Argumente der Kritiker nicht mehr durch. Es ist so leicht, entlang der eigenen Narrative zu argumentieren, dass selbst der Denkfaulste im eigenen Frame automatisch recht behält.
Das Durchsetzen von Narrativen ist kommunikative Gewalt. Das ist das Gegenteil von intellektueller Redlichkeit bzw. eines "herrschaftsfreien Diskurses" nach Habermas. Selbst wenn alle Argumente innerhalb des eigenen Narrativs für sich genommen gültig sind, sind sie durch das Narrativ privilegiert und damit auf einer höheren Ebene unwahr.