Sonntag, 25. Juni 2017

Luxusaphorismen 2011-2014




14.5.2011. Für das theoretische Erkennen gibt es Kontingenz und Notwendigkeit, Freiheit ist aber nirgends zu beobachten noch logisch von etwas abzuleiten; Freiheit gibt es nur im Praktischen, in der Innenperspektive, - das Ich ist unmittelbare Freiheit, von nichts Äußerem abzuleiten, und hat den Grund seines Daseins in sich selbst. Freiheit ist Innerlichkeit, Unableitbarkeit vom Äußeren überhaupt, jedoch ist diese theoretische Erkenntnis ohne ihre unmittelbare praktische Faktizität nicht zu gewinnen.


21.5.2011. Angenommen, das Universum sei ein Spiel Gottes mit sich selbst, in dem er aus seiner Göttlichkeit heraustritt und sich in die Endlichkeit und Kontingenz wirft. Was hat das mit uns menschlichen Subjekten zu tun? Als ontologische Avantgarde bestimmen wir, wie das Spiel nun weiter geht, und allein dies ist unsere Rolle im Universum, - als Subjekte gehen wir Gott nichts an, nur als Spielfiguren, die sein Spiel gelingen oder misslingen lassen können. Was geht uns dieser Gott an, der uns äußerlich ist, eine fremde ohnmächtige Macht, die uns zwar verursacht hat, aber zu nichts zwingen und mit nichts locken kann? Nichts. Betrachten wir uns selbst als göttlich, so dass Gott uns nicht äußerlich ist, dann können wir überhaupt nichts falsch machen - weder als Einzelne noch als Menschheit insgesamt.


10.6.2011. Dass etwas aus dem Nichts entstanden sein könnte, Leben aus Leblosem, und schließlich Selbstbewusstsein, ist so unwahrscheinlich, dass die wildesten Schöpfungsmythen der primitivsten oder ältesten Kulturen dagegen höchst plausibel wirken. Sobald ich aber anfange, mir eine wirklich gewollte, vernünftig und liebevoll geschaffene Welt vorzustellen, muss ich alle Schöpfungsgedanken verwerfen, und kann jede Welterklärung außer des Gedankens der ziellosen und nihilistischen Evolution nur für blasphemisch halten. 


3.8.2011. Wären die Menschen moralisch vollkommen, wären sie längst ausgestorben; wären die Menschen vollkommen amoralisch, hätten sie sich gegenseitig ausgerottet. Es ist die moralische Inkonsequenz, die Halbheit, die Verlogenheit, der die Menschheit ihr Fortbestehen verdankt.


30.11.2011. Das Individuum betrachten wir gewöhnlich als ein moralisches Subjekt, die Masse als gänzlich amoralisch, - der Einzelne handelt selbstbestimmt gut oder schlecht, die Masse nur tierisch. Die Menschheit jedoch wollen wir nicht aussterben sehen, ja keinesfalls, so der Kant in uns, wenn wir aber einzelne Exemplare der Spezies betrachten, so fänden wir es gar nicht so schlecht, wenn diese oder jene nachhaltig nicht mehr da wären.


21.12.2011. Sobald der Atheismus genötigt wird, sich einen Begriff des Gottes, den er ablehnt, zu machen, sieht er leicht ein, dass an einen solchen Gott auch der Theist nicht glauben kann. Wer zuerst Gott zu einem Weihnachtsmann oder Osterhasen macht, und dann behauptet, er glaubte nicht an Gott, glaubt eben nicht an den Osterhasen, - an einen Gott, an ein Absolutes glaubt er notwendigerweise immer, ob er ihn Leben, Natur, Evolution, Karma oder Schicksal nennt.


26.12.2011. Das Sichverlieben ist kein erster Akt der Partnerwahl, es gleicht vielmehr dem ersten Blick des Menschen in den Sternenhimmel: erst die Unerreichbarkeit und ein Gefühl der Transzendenz lassen das sprichwörtliche Herz höher schlagen.


22.1.2012. In einer Welt, in der Wunder (Handlungen und Tatsachen wider die Naturgesetze) möglich sind, hat das moralische Gesetz keinerlei Wert, da seine Grundlage, die Form der Gesetzmäßigkeit, dadurch aufgehoben ist. Eine religiöse Lehre, die moralische Gesetze aufstellt, und zugleich Wunder postuliert, widerspricht sich selbst, und ist nichts als Aberglaube.


31.12.2012. Das Gute ist die Positivität/Position des Schönen (nicht des bloß Seienden/Gegebenen/ Existierenden).


22.1.2013. Die subjektive Grundfrage der praktischen Philosophie "Was soll ich tun?" lässt sich objektiv als die Frage "Was ist gut?" formulieren, denn das sein Sollende ist das Gute. Die theoretische Philosophie fragt subjektiv nach den Grenzen des möglichen Wissens, und objektiv nach der Wahrheit. Die Frage nach dem Endzwecks des Wissens sowie die Banalität, dass der Satz, der das Gute bestimmen soll (der kategorische Imperativ) ein wahrer Satz sein muss, um einen Sinn zu ergeben, zeigen, dass die theoretische und die praktische Philosophie nicht getrennt werden können. Das Sein und das Sollen sind nur empirisch, an der Oberfläche der kontingewnten Erscheinungen, inkommensurabel, ontologisch aber verweisen sie aufeinander.


28.3.2013. Das Schöne ist der unmittelbare Sinn des Lebens: es ist der Sinn des Lebens, bevor man überhaupt die Frage danach stellt; fragst du dich nach dem Sinn des Lebens, so wurde der ursprüngliche Sinn - die angeborene Hoffnung auf die Begegnung mit dem Schönen in Liebe - in deinem Leben vereitelt.


18.4.2013. Wenn das Leben zu kurz erscheint, ist es zu lang: zu lang, um es zu leben, so lang, dass man ins Grübeln kommt, und anfängt, aus einem Leben viele Leben zu machen, indem man alle Optionen, die man hat oder hätte, in mehreren Lebensszenarien durchspielt. Das Leben ist nicht zu kurz, man hat vielmehr zu wenige Leben für die gegebene Zeit, und zu viel Zeit für das einzige Leben, das man hat.


27.5.2014. Im Geiste entspricht der Zustand der Wildheit der Frömmigkeit: der Wilde ist heteronom und glaubt blind an bestimmte Tabus; der Zustand der Barbarei enspricht dem Nihilismus: der Barbar unterwirft alles seiner Willkür, und dem Nihilisten ist nichts heilig; der Zustand der Zivilisation enspricht der Philosophie: die Vernunft rehabilitiert das Heilige durch die Moral.


28.6.2014. Ohne ihre großen Persönlichkeiten wäre die Weltgeschichte belanglos, eine bloße Chronologie des sinnlosen Wühlens im Dreck und Streitens um Landfetzen und Lumpen. Doch große Persönlichkeiten können wiederum nur von großen Persönlichkeiten erkannt werden: ohne Menschen, die fähig sind, der Welt Bedeutung zu verleihen, wäre alles auf der Welt bedeutungslos.


6.7.2014. Masturbation verhält sich zu Sex wie vegetarisches Essen zu Fleischkonsum. Hält man Masturbation für eine "Sünde", so ist Sex (in welcher Form und unter welchen Umständen auch immer) zwangsläufig die noch schlimmere Sünde.


9.7.2014. Die stillschweigende Prämisse für alles Erkennen und Handeln, nämlich dass es auf der Welt vernünftig zugeht, ist für die theoretische Philosophie eine legitime spekulative Annahme, für die praktische Philosophie aber, deren Sätze nur wahr oder falsch, und nicht bloß wahrscheinlich sein können, eine unbeweisbare dogmatische Behauptung, die durch ihren Leichtsinn der bloß wahrscheinlichen Gültigkeit dem existentiellen Ernst ihrer praktischen Konsequenzen mehr als spottet.


9.7.2014. Die Selbstevidenz des kategorischen Imperativs überzeugt die Vernunft, aber nicht den Willen, für den sich über die Frage "Was soll ich tun?" hinaus die Frage "Warum soll ich sollen?" stellt.


8.8.2014. Der Fall ist unmittelbar (im Jetzt) lustvoll, der Aufstieg ist unmittelbar mühsam, aber lustvoll durch die Hoffnung auf das Kommende. Jedes Wesen kann fallen, aber nur ein charakterstarkes Willenwesen kann aufsteigen.