Mittwoch, 8. November 2017

Pickup und Rosinenpicken





Viele Männer trauen sich nicht. Vor einigen Jahren ist die sogenannte Pick-Up-Bewegung entstanden, die diesen Männern auf die Sprünge (in den Sumpf) hilft. Pick-Up-Coaches lehren einen Mann, den Frauen durch bestimmtes Verhalten einen höheren sozialen und finanziellen Status vorzuspielen, sprich, sie bringen ihm das Hochstapeln bei. Natürlich ist eine Frau nach einer kurzen und auf Lügen aufgebauten Beziehung mit einem Pickupisten enttäuscht, denn sie ging ja davon aus, von einem reicheren und mächtigeren Mann abgeschleppt worden zu sein.

All jene Ratschläge, deren sofortigen Erfolg die Starcoaches der Pick-Up-Szene garantieren, sind eigentlich an Männer mit passablem Status und genug Kohle gerichtet. Auch ein erfolgreicher Mann kann Misserfolg bei Frauen haben, etwa wenn er schüchtern ist, oder sein erfolgreiches Erfolgreichsein durch die Aufopferung seiner sämtlichen Freizeit für den Erfolg erfolgt, so dass er gar nicht die Gelegenheit hat, sich in Balzkünsten weiterzubilden, und mit der Zeit einrostet. So jemand braucht aber keinen Pickuptrainer, und falls doch, dann nur, weil er unwissentlich tiefstapelt, d. h. den Frauen in seiner Gegenwart gar nicht zeigt, dass er ein durchaus wohlhabender und angesehener Mann ist. Sobald die Frauen es wissen, und sich kein noch dominanteres Männchen in der Nähe befindet, wird kein Anmachspruch zu plump sein, im Gegenteil: die Frauen werden ihn, und sei er ein Volltrottel, glauben lassen, er wäre George Clooney. "Sei Selbstbewusst!" funktioniert also nur für einen Bruchteil der Pickup-Klientel, nämlich für Männer, deren sozialer Status genügt, um fast jede Frau abzuschleppen, die sich aber aus verschiedenen, meist banalen, und nicht traumatischen Gründen, nicht trauen.

Warum fallen massenhaft Männer, deren niedriger Status Erfolg beim anderen Geschlecht ausschließt, auf Pick Up herein? Weil Pickup auf einer doppelten Lüge basiert: die andere Seite der Goldmedaille für paraplumpisches Hochstapeln ist der Selbstbetrug, dem fast jeder Pickup-Jünger aufsitzt. Früher war man ein schüchterner Typ, der an die Frauen, die er wollte, eh nicht herankam, und sich für die Frauen, die ihn nicht interessierten, selbstredend nicht interessierte. Nun aber spricht er auch Frauen an, auf die er eigentlich nicht steht, einerseits um zu sehen, ob Pick-Up wirklich funktioniert, andererseits um sich selbst zu beweisen, dass er kein Loser ist, und nun, da er das Trughochfliegen beherrscht, auch (im Sumpf) landen kann. An die attraktiveren Frauen kommt er weiterhin nicht heran, denn er wird schon vor einer möglichen Begegnung (vom freundlichen Türsteher oder vom feindseligen Blick der Frau) aussortiert. Also spricht er mit seinen neu erlernten pickupalen Qualifikationen nun Frauen an, die er früher nicht angesprochen hatte, weil sie ihm nicht attraktiv genug waren (nicht etwa, weil er zu schüchtern war), und redet sich ein, dass es ihn glücklich macht, bis die Schere zwischen eingeredetem Glücklichsein und der tatsächlichen empfundenen jämmerlichen Situation zu groß wird, und der betrogene Betrüger sich wieder in den real existierenden deprimierten Masturbismus zurückzieht.    

Cui bono? Wer profitiert also von Pick-Up? Erstens die Pick-Up-Coaches, die damit Geld verdienen, zweitens schüchterne oder eingerostete Alphamännchen, und drittens unattraktive Frauen, für die es völlig anstrengungslos auf einmal normale bis mittelprächtige Kerle regnet, und die sich folglich so zu benehmen erdreisten, wie es nur den attraktiven Frauen zusteht (asozial und überheblich). Wer ist der Verlierer, wenn man das Pickupphänomen in seiner möglichen Wirkung zu Ende denkt? Der normale und mittelprächtige Mann: nun müsste ihm jede Frau gut genug sein (denn er wäre ein Loser, wenn er gar keine hätte), er müsste sich fortwährend verstellen in Tateinheit mit bis zum Burnout abstrampeln, und fände überall nur noch asoziale und überhebliche Frauen vor. Manche behaupten ja, dies sei bereits der status quo.