Freitag, 3. November 2017
Sexualität und Religion
Naturreligionen können nicht sexualfeindlich sein. Sie sind gottlos. Sie beten das Nichts an, nein, schlimmer, den Schein, zu dem sich das Nichts herablässt. Sie sind Angstneurosen, die aus der Furcht vor einer grausamen und unberechenbaren Natur resultieren.
Gattungsreligionen sind ebensowenig sexualfeindlich. Was ist eine Gattungsreligion? Zum Beispiel eine Religion, die befiehlt, fruchtbar zu sein, und sich zu mehren. Eine solche Religion setzt der Sexualität immerhin Schranken, stellt sie unter Gesetze, - doch im Zweifel billigt sie Unzucht, Inzucht und Vergewaltigung, wenn die Gattung dadurch einen Vorteil gewinnt.
Welche Religionen können überhaupt sexualfeindlich sein? Niemals jene, die die Sexualität beschränken, wie eine wilde Bestie, die ohne Schranken nur ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören würde. Religionen, die Monogamie, Ehe und Sex zum Zweck der Fortpflanzung propagieren, sind keine sexualfeindlichen Religionen, - sie sind vielmehr Sexualreligionen.
Sexualität ist Gattung. Das Gegenteil von Sexualität ist Individualität. Nur eine Religion, die ohne Rücksicht auf die Erhaltung der Gattung Keuschheit predigt, ist eine wahrhaft für moralische Personen geeignete Religion, eine Individualreligion. Nur hier hat die Eigenverantwortung des Einzelnen einen Sinn, da seine moralische Verantwortlichkeit nicht im Leichenkeller der Gattungsgeschichte untergeht, sondern einen welttranszendenten Richter fordert.
Ich bin ein Ich, eine moralische Person, kein bloßes Glied in der Kette des Ewiggleichen: Geburt und Tod. Ich habe eine Würde, einen absoluten Wert, und bin dem Geist - wenn nicht Gott, dem absoluten Ich, so doch mir selbst, meinem Ich, - verpflichtet, diese Würde zu bewahren, - und nicht der Gattung, ihre Existenz zu erhalten.