Nietzsche, der für die Löwen schrieb, wurde von den Ochsen vereinnahmt und auf ein entsprechendes Niveau heruntergebrochen (die debilsten Ochsen waren die Nationalsozialisten). Dabei war Nietzsche schon selbst eine Dekadenzerscheinung: er machte einen Kult um eine Selbstverständlichkeit (die körperliche Vitalität) und musste sein Ressentiment gegen das gesunde Geistige verarbeiten (bezeichnend: er wurde schließlich geisteskrank).
Der Kult um das vortreffliche Leben, das "den Geist nicht nötig hat" (Thomas Mann, eine weitere Figur der abendländischen Dekadenz), wurde heruntergebrochen auf einen Kult um das bloße Leben. Noch mehr als für Nietzsche war für seine rindtierischen Nachfolger alles Geistige (und nicht erst die Moral) ein Zeichen der Schwäche, des Losertums, der Minderwertigkeit. Aus der Organminderwertigkeit entstehe die geistige Überkompensation, so die Küchenpsychologie der Zeit.
Wer den Brutalen, Rücksichtslosen,
Starken böse nennt, ist ein Heuchler, denn er würde genauso handeln,
wenn er auch stark wäre: das ist vitalistische Moralkritik. Diese Kritik
ist größtenteils zutreffend, denn die Moralität degeneriert tatsächlich
immer wieder zum Werkzeug des Neids und Ressentiments: die Moral als
Waffe der Schwachen.
Die Intellektualität als solche aber für minderwertig zu erklären, wie der Antiintellektualismus der abendländischen Spätdekadenz es vermochte, verkehrt berechtigte Kritik in unfreiwillige Selbstparodie: hier entlarven sich Idioten als das, was sie sind. "Du bist ein Schwächling, also liest du Bücher!" "Nur Loser spielen Schach, echte Männer boxen!" "Die Trauben des weltlichen Erfolgs waren unerreichbar für ihn, also immatrikulierte er sich an der philosophischen Fakultät".
Wenn jene, die vom Geist nichts verstehen, über den Geist urteilen, kann nicht einmal von einer intellektuellen Fehlleistung gesprochen werden, denn die Grundlage des Urteils ist eine auf Emotionen basierende Überzeugung. Das Ressentiment des Dummkopfs gegen den Intellektuellen mit dem zugleich wahrgenommenen Intellektualismus der europäischen Juden hat den Antisemitismus der Missratenen in einen Tsunami des Hasses verwandelt, der Fabriken der Menschenvernichtung auftürmen konnte. Die normative Kraft des Faktischen angesichts der Tatsache, dass die antiintellektualistische Mehrheit eine Minderheit von Intellektuellen und Juden planmäßig vernichten konnte, bestärkte den magischen Volksglauben an die Macht der braunen Masse und die Ohnmacht des Geistes, des Genies, der Persönlichkeit.
Das Schlusskapitel des Kriegs der Welt (1904-1953, Niall Ferguson) waren jedoch nicht die Gaskammern, die im Prinzip auch von Imbezillen hätten bedient werden können, sondern eine Hochleistung "abstrakter" Intellektualität, theoretischer Physik: die Atombombe zwang als vergleichsweise konservative Uran- bzw. Plutoniumbombe das bis in den Untergang kampfbereite Japan zur Kapitulation, die bald daraufhin getestete Wasserstoffbombe machte eine Fortsetzung der Weltkriege des 20. Jahrhunderts undenkbar.