Sonntag, 5. März 2023

Gut und Böse

 

 

 

 

Wenn der Mensch ein zwischen dem Tier und dem Übermenschen aufgespanntes Seil ist, dann ist all das gut, was das Potential des Menschen, Übermensch zu werden, fördert, und all das böse, was dieses Potential hemmt, und damit den Menschen in ein (bloßes) Tier verwandelt.

Der göttlichere und der tierischere Mensch verhalten sich zueinander wie Gut und Schlecht, Gut und Böse sind dagegen keine Zustands-, sondern Willensbeschreibungen. Der böse Wille will das Höhere dem Niederen unterwerfen: die Schönheit der sexuellen Attraktivität, das Menschliche dem Tierischen, das Recht der bloßen Gewalt.

Die Wohlgeratenen sind auf dem Weg zum Übermenschen durch glückliche Fügung oder Karma weiter als die Missratenen. Da dieser Unterschied nur graduell ist, kann nicht gesagt werden, dass die Missratenen keine Würde besitzen: sie haben diese nur im geringeren Maße. Würde muss verdient und kann verwirkt werden. Aber Würde wird, wie Liebe oder Gnade, auch gegeben, und der Prinz bekommt nunmal mehr Würde in die Wiege gelegt als der Bauernsohn.

Das Bestehen auf seiner Würde ist Ehre. Mehr Würde bedeutet mehr Form: der Würdigere muss sich mehr in Form halten, das Leben des Würdigsten gleicht einem Ritual ohne Willkür, ohne falsche Bewegung.

Die Wahrhaftigkeit bildet die Basis der Integrität. Das Gegenteil, die Verlogenheit, untergräbt die Integrität. Der wahre ontologische Status und der Habitus einer Person müssen in Harmonie sein. Dies bedeutet keineswegs, dass es eine Tugend ist, sich selbst zu erniedrigen. Im Gegenteil: die Selbsterniedrigung ist unehrenhaft, weil sie die Würde des eigenen ontologischen Ranges verletzt.

Die größere Gefahr geht ohnehin von der Selbstüberschätzung aus. Deshalb ist der größte Feind der Integrität die Hybris. Die Tugend, die diesen Feind schlägt, ist die Demut.