Nietzsche würde im Kinozeitalter seinen von allen Fesseln des Gewissens befreiten Wohlgeratenen zum Beispiel in Lance Henriksens Charakter aus dem Film "Harte Ziele" erkennen. Dieser wahre Gentleman ist kein Monster: kein Psycho- oder Soziopath, der zu seinem Vergnügen vergewaltigt und foltert. Aber er tötet zu seinem Vergnügen, und zwar Menschen, die sich für Geld eine Nacht lang auf den Straßen der schlafenden Stadt jagen lassen. Die Jäger sind dekadente Reiche, die schon jedes Vergnügen kennen, und die eine Hetzjagd auf menschliches Wild genießen.
Van Dammes Charakter gerät
mit diesen Reichen in Konflikt, weil der Vater einer jungen Frau, die
er gerade kennengelernt hat, bei einer Menschenjagd, in die er selbst
(für Geld) eingewilligt hat, ums Leben gekommen ist. Der arbeitslose
Matrose mischt sich in etwas ein, was Erwachsene freiwillig
untereinander vereinbart hatten. Der Einsatz des armen alten Mannes war
sein Leben gewesen, das hat er selbst so entschieden. Doch wer kann dem
wohlgeratenen starken jungen Mann, der an der Tochter des Getöteten
romantisch oder erotisch interessiert ist, verbieten, aus Rache für
deren Vater den Kampf aufzunehmen?
Der siegreiche Charakter Van Dammes
sagt zum Schluss, dass auch arme Menschen ihren Spaß haben wollen (der
Konflikt mit der Gruppe der Menschenjäger geriet zu einem herrlichen
Action-Showdown). Er hätte auch sagen können: "Verwechselt
Wohlgeratensein nicht mit sozialem Status!"
Der Wohlgeratene muss nichts beweisen, er kann auch als Rumtreiber leben. Einer mit hohem sozialen Status, der nach unten tritt und nach oben buckelt, ist eindeutig ein Missratener. Der Wohlgeratene bestimmt selbst über sein Leben, er geht seinen eigenen Weg. Oder sprechen wir bereits über den Vortrefflichen, den idealen Wohlgeratenen? Jedenfalls gilt die Meinung der anderen dem Wohlgeratenen nichts, also pfeift er auch auf die Gesellschaft und den Status, den diese ihm zuschreibt.
Was nicht bedeutet, dass der Wohlgeratene sich keinen hohen Status erstreiten würde. Wenn es seinen persönlichen Zielen dienlich wäre, würde er erfolgreich und auch reich werden wollen. Er hegt keine grundsätzliche, "moralische" Verachtung gegen die Gesellschaft. Er nutzt die Gesellschaft und ihre Spielregeln, wie es ihm passt.