Mittwoch, 30. August 2017
Niemanden lieben
Die Liebe fängt an bei einzelnen Schönen und endet bei der Idee des Schönen (die auch die Idee des Guten ist). Wer die platonische Entwicklung der Liebe hinter sich hat, liebt niemanden, und dennoch ist sein Herz von Liebe erfüllt. Die damit erreichte Transzendenz gewährt vollkommene moralische Freiheit: man ist allein der Idee des Guten verpflichtet.
Wer niemanden liebt, ist emotional frei. Er ist zu wahrer Nächstenliebe fähig - der reinen, interesselosen, unparteiischen Nächstenliebe. Wer keinen Menschen liebt, ist ein liebevollerer und moralisch besserer (weil vollkommenerer) Mensch als jemand, der an andere emotional gebunden ist.
Vorausgesetzt ist, dass die Entwicklung der Liebe von der Liebe zu einem schönen Mädchen bis zur Liebe zur Idee vollzogen wurde, ansonsten ist, wer keinen liebt, einfach nur ein Narzisst, der keinen mehr liebt als sich selbst. Ist die Voraussetzung erfüllt, gilt das Bonmot: "Die Befreiung der Liebe ist die Befreiung von der Liebe".