Dienstag, 13. Februar 2018
Wert und Ego
Es ist nicht nur traurig, von jemandem, den man liebt, verschmäht oder verlassen zu werden, sondern zutiefst erniedrigend, so wie umgekehrt bereits die angenommene (und umso mehr die erwiderte) Liebe das größte Hochgefühl für das Ego ist. Wenn der für einen wertvollste Mensch einen annimmt, fühlt man sich nicht nur wohl, sondern man fühlt auch, dass man etwas wert ist; lehnt die geliebte Person einen ab, kann man sich fühlen, als sei man nichts wert, wenn man kein stabiles autonomes Selbstwertgefühl hat.
Erniedrigung ruft unmittelbar Scham hervor, die neben Schuldgefühlen unerträglichste Empfindung. Um sich davor zu schützen, greift der Leidende gern zu entpersönlichenden Ausdrücken, und beschreibt seinen Zustand der Trauer durch eine medizinische Diagnose. Er macht sich in der Kommunikation mit anderen zu einer Maschine, die an einer Funktionsstörung leidet. Das schützt vor der schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem unerfreulichen seelischen Zustand, bestätigt aber auf einer anderen Ebene genau das, was die Scham, vor der die Flucht ergriffen wurde, einem zuflüstert: "Ich bin nichts wert!"
Man bewältigt die Trauer keineswegs, indem man sich - für sich selbst und für andere - zu einer Sache macht. Trauer ist keine Krankheit, und erst recht keine Funktionsstörung, sondern eine höhere Empfindung, zu der nur komplex fühlende Lebewesen in der Lage sind. Trauer entwertet einen nicht, sondern zeigt, dass man grundsätzlich einen Selbstwert hat, der durch die erlebte Ablehnung negiert wird.
Nicht die Intensität der Trauer, sondern die Stärke des Gefühls, nichts wert zu sein, ist ein Gradmesser psychischer Unreife. Auch ein Mensch, der sich selbst genügt, kann durch Ablehnung, durch Verlassenwerden sowie durch den Tod einer - erst recht der - geliebten Person in eine tiefe Trauer stürzen, doch er wird den Schmerz nicht fliehen, sondern aushalten, er wird mit seinem Schicksal hadern, aber nicht sich selbst verfluchen und in Selbstmitleid zerfließen.