Samstag, 10. Februar 2018

Wessen Meinungen sind relevant?





Wenn ein Mensch mit defizitärem Geschmackssinn behauptet, Essen sei wie Ausscheiden ein peinlicher tierischer Vorgang, der nicht mit Genuß und in der Öffentlichkeit, sondern diskret und verborgen vollzogen werden sollte, dann hat seine Ansicht keine objektive Relevanz. Wenn ein Mensch, der seine Sexualität stets gefürchtet und verdrängt hat, anstatt sich mit ihr auseinander-zusetzen, für sexuelle Enthaltsamkeit plädiert, dann will er bloß aus seiner eigenen Beschränktheit eine allgemeine Beschränkung machen.

Wenn ein Feinschmecker, der mit größter Leidenschaft Speisen und Getränke verkostet, und jeden Tag danach giert, etwas neues zu probieren, im allgemeinen keine hohe Meinung von Essen und Trinken hat, dann sind seine Ansichten interessant. Wenn einer, der erotische Gedanken zulässt und durchdenkt, den Trieb in seiner ganzen Bandbreite kennt, und das große Lustversprechen nicht verdrängen, sondern nach hartem Ringen mit sich selbst bewusst abweisen muss, dann ist er befähigt, den Sinn der Enthaltsamkeit anderen beizubringen. Selbstredend kann hier kein Beispiel eines sexuell Aktiven als Berechtigungsgrundlage gegeben werden, so wie man nicht erst zum Mörder werden muss, um sich mit Mordlust bewusst auseinandersetzen zu können.

Der letzte Satz leitet zur Spitze aller Lebensweisheit, der Vernunft selbst, geradezu über: das Beste ist in jedem Fall die vernünftige Erkenntnis, das Begreifen des Wesens einer Sache, denn durch Erfahrung und Induktion kommt man nur zu Wahrscheinlichkeitssätzen, aber zu keinen wahren Erkenntnissen. Da der Nihilist nur den Verstand anerkennt (wenigstens das muss er, um nicht, um Aristoteles zu bemühen, einer Pflanze zu gleichen), bleibt ihm die Vernunfterkenntnis verwehrt, und der Nihilist muss ins Reich der bloßen Meinungen zurückfallen, unter denen er lebensklugerweise die erfahrungsaufgeklärten den bornierten Meinungen vorziehen muss.