Donnerstag, 28. März 2013

Liebesleid





Warum leidet ein Liebender? Zunächst handeln wir die primitivere Persönlichkeit ab, damit sie uns in höheren Sphären des Liebens nicht mehr belästigt. Ein Sub-Ich, eine unreife Person fühlt eine innere Leere, die auch wirklich vorhanden ist, weil ein transzendentales Ich (noch) fehlt. Die innere Leere gilt es zu füllen, und dafür wird ein Liebesobjekt auserkoren. Dieses muss nicht bloß als Projektionsfläche für das transzendentale Ich fungieren, sondern das fehlende transzendentale Ich ganz ersetzen. Hier offenbart sich der wahre Sinn der im Liebeswahn getroffenen Aussagen wie "Ohne dich kann ich nicht leben!" oder "Nur mit dir hat mein Leben einen Sinn!" - der Verliebte ist hier völlig vom Liebesobjekt abhängig. Im täglichen Lebensvollzug kommen aufgrund der totalen Abhängigkeit Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle auf, die in paranoider Eifersucht und panischen Verlustängsten kulminieren.

Wenden uns nun der reifen Persönlichkeit zu, einem stolzen Träger eines transzendentalen Ich. Dieser braucht ein Liebesobjekt lediglich, um sein transzendentales Ich darauf zu projizieren. Ist für den unreifen Liebenden die Beziehung mit dem Liebesobjekt das Maßgebliche, so ist für den reifen Liebenden die Reinheit des Liebesobjekts das Wesentliche. Reife Liebe ist auch in Einsamkeit zur Erfüllung fähig, solange das Liebesobjekt nicht entweiht wird. Im täglichen Lebensvollzug droht die Gefahr, dass die Geliebte geschändet wird oder sich als ordinäre Nutte herausstellt. Dies ist ein großer Schmerz für den Liebenden, aber kein Weltuntergang, denn sein transzendentales Ich wird von der Zerstörung des Liebesobjekts nicht tangiert. Das empirische Ich, das Ichgefühl, kann sich jedoch für längere Zeit vom transzendentalen Ich getrennt empfinden, was den eigentlichen Liebeskummer auf der Stufe der reifen Persönlichkeit ausmacht.