Freitag, 15. Mai 2020

Das Recht auf einen glimpflichen Ausgang





Eine zu harte Quarantäne runiniert die Wirtschaft, ein zu lockerer Umgang mit dem Coronavirus führt zu mehr Infizierten und Toten. Unerbittlich stehen sich zwei Parteiungen gegenüber: die Lockdowneure und die Wirtschafteure. Beide klagen einander an, viele menschliche Lebene fahrlässig zu gefährden. Doch so oder so: entweder man minimiert die Ansteckungsrate und nimmt in Kauf, dass Existenzen zerstört werden, oder man priorisiert die Wirtschaft gegenüber der öffentlichen Gesundheit und lässt mehr Menschen erkranken und sterben. Treibt man diese Lebensrettungsmaßnahmen wiederum zu extrem, gibt es letztlich Hungertote, was das Lebensrettungsargument ad absurdum führt.

Die verbitterte Haltung auf beiden Seiten lässt auf ein ultradekadentes Mentalitätsphänomen schließen: beide haben die Anspruchshaltung, die Corona-Pandemie möge glimpflich ausgehen. Der Ultradekadente kennt keine wirklich harten Zeiten und hat gelernt, bei jeder Krise und jedem Schicksalsschlag ein Recht auf einen glimpflichen Ausgang einzufordern.

Der bloß Dekadente hofft auf einen glimpflichen Ausgang, hält aber auch einen härteren Ausgang für denknotwendig. Er wählt nach langer hedonistisch zentrierter Überlegung aus, ob er den Kuchen essen oder behalten will, ob er lieber gesundheitliche oder existenzielle Risiken in Kauf nimmt. Der Ultradekadente will den Kuchen essen und behalten; schlimme Zeiten dürfen nur angedeutet werden, aber niemals harte Realität, und wenn im Staatsfernsehen nicht schnell eine Entwarnung kommt mit der frohen Botschaft, alles sei nun wieder gut, versinkt er in Depressionen und Verschwörungstheorien; sein Umgang mit der weiter bestehenden Gefahr ist entweder ein hysterisches Leugnen oder eine neurotische Hypervigilanz.