Montag, 25. Mai 2020

Die Ich-Religion





Im Hochnihilismus, dem Atheismus der Renaissance, später interpretiert als Humanismus, hieß die Glaubensformel: Ich bin einzigartig. Doch mit diesem Ich war nicht jeder gemeint, sondern das große Künstlergenie, der absolute Monarch, der vortreffliche Mensch.

Im konservativen Nihilismus, dem Atheismus der Neuzeit, waren wenige einzigartig und der Rest waren Massenmenschen. Der soziale Aufstieg in liberal-kapitalistischen Gesellschaften war der Weg zur Klasse der Einzigartigen. Schließlich begerhrte ein ganzer Stand auf (das Bürgertum), um am Einzigartigkeitswahn partizipieren zu können.

Im sozialistischen Nihilismus, dem Atheismus der Moderne, heißt es: Jeder ist einzigartig. Dadurch entwertet sich der Narzissmus des empirischen Ich und der Atheismus verliert seinen Ethos. Einzigartig zu werden ist nicht mehr erstrebenswert, da jeder automatisch als einzigartig gilt.

Ich bin einzigartig, das ist der Glaubenssatz der Ich-Religion, des Atheismus. Gottverneinung bedeutet Selbstbejahung bis zur Selbstvergottung. Doch wenn Selbstvergottung durch Selbstverwirklichung durch die Nivellierung der Einzigartigkeit ad absurdum geführt wird, entsteht ein nihilistischer Pantheismus (bzw. Pan-Atheismus), in dem das einzigartige Subjekt (Ich) durch das einzigartige Objekt abgelöst wird (Lamborghini, Iphone usw).