Dienstag, 13. September 2022

13. Wozu Italien?

 

 

 

 

Italien erlebte, im Gegensatz zu Deutschland, keine zweite Teilung im 20. Jahrhundert, aber es sehnt sich danach, zu trennen, was nicht zusammengehört. Der Gegensatz zwischen Nord- und Süditalien könnte aber auch eine Nebelkerze sein, um nicht eingestehen zu müssen, dass Italien, wie es heute existiert, überhaupt, auch zweigeteilt, keinen Sinn ergibt.

Italien ist in der Falle der Zweitklassigkeit gefangen: es spielt seit dem Neubeginn seiner staatlichen Existenz in der Moderne mehrere zweite Geigen, und zwar gegenüber Frankreich, dem spätneuzeitlich-modernen Primus der romanischen Welt, seinen neuzeitlichen habsburgischen Beherrschern Spanien und Österreich, seiner eigenen antiken Vorgeschichte als Römisches Reich und nicht zuletzt Deutschland, das ihm den Reichstitel im Mittelalter weggenommen hat.

Italien ist nicht aufgrund seiner Gegenwart ein Land der Sehnsucht. Auf meiner Italienreise im nächsten Jahr werde ich die meiste Zeit in der antiken Welthauptstadt Rom verbringen und in die Renaissance-Metropolen Florenz und Genua reinschauen. Was ist mit Venedig? Venedig ist Venedig, es ist nicht Italien. Seine Nachfolger heißen Antwerpen, Amsterdam und London, und aktuell New York.

Die Sinnkrise Italiens begann gleich mit seiner Staatsgründung. Luigi Cadorna war kein Aetius, kein Majorian, kein Theodosius, und wir sind immer noch im allerletzten Jahrhundert des Reichs in der Spätantike. Die unzähligen Isonzo-Schlachten brachten weder Ruhm noch Ehre, aber Leid und Schwere. Der Sieger Italien stürzte 11 Jahre früher als der Verlierer Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in den Faschismus. Und nun aber! Oder? Ich sage nur ein Wort, ein einziges Wort: Adua.

War es das wert, deshalb 40 Jahre später als erste Nation Giftgas aus Flugzeugen zu versprühen? Wie groß muss der Frust gewesen sein, dass man die Lazarette des Roten Kreuzes absichtlich bombardierte? Äthiopien erobert, und nun? Schwere, peinliche Niederlage gegen Griechenland in Albanien. Hitler musste aushelfen. Im Windschatten des Dritten Reichs wurde etwas Land am Mittelmeer zusammengesammelt, aber die Kapitulation gegen die Kriegs-Amateure aus den USA kam, als Deutschland antiheldisch den totalen Krieg kämpfte. Als imperialistischer Staat war das neugegründete Italien eine Katastrophe.

Doch im Frieden wurde Italien groß. Norditalien hat mehr Gemeinsamkeiten mit Süddeutschland und der Schweiz als mit wirtschaftlich schwachen Regionen Westeuropas. Trotz scharfer regionaler Unterschiede ist Italien ein Gigant der Weltwirtschaft mit einflussreicher Kultur. Die Bevölkerung ist jedoch im Durchschnitt sehr alt, die Fertilitätsrate so niedrig, dass das Aussterben unumkehrbar ist. Italien hat keine eigene, aber eine gemeinsame europäische Zukunft. Und die ist düster.

Dann aber zurück zur Vergangenheit: Was hatte Italien in den 500 Jahren nach der Renaissance überhaupt für einen Sinn? Das viel weiter zurückgefallene Spanien hat einen langen flauschigen Eichhörnchenschwanz an lateinamerikanischen Tochterstaaten. Frankreich ist eine Großmacht. Deutschland, trotz allem, auch. Von England schweigen wir besser. Die anderen europäischen Länder sind aber viel kleiner, da wäre ein Vergleich peinlich, ein verlorener erst recht. Also: What went wrong? Vielleicht ist es die Zyste. Monaco ist ein Schandfleck der Ultradekadenz, aber es liegt am südöstlichen Rande Frankreichs. Und Vatikan ist eine giftige Zyste mitten im Herzen Italiens. Bevor sich Italien abschafft, könnte es den Vatikan abschaffen, zu verlieren hat man eh nicht mehr viel.

Sonntag, 14. August 2022

Das Solare IV: Die Reinheit

 

 

 

 

Auf der geistigen Weltkarte ist dem Schönen nicht das Hässliche, sondern das Ekelhafte, das absolut Unreine, kontradiktorisch entgegengesetzt. Dem Schönen entspricht das Ideal der Reinheit.

Eine Welt, deren Sinn nur darin besteht, dass es guten Menschen gut, und schlechten schlecht geht, muss nicht existieren. Es ist sogar besser, wenn sie nicht existiert: dann wäre nämlich das Leid, das die Schlechten erst für andere und in zwingender Konsequenz auch für sich selbst verursachen, abgewendet. Kein Glück kann Leid ab einem bestimmten Schweregrad aufwiegen. Nur ein höherer Sinn rechtfertigt großes Leid.

Kants moralische Welt, die sich im Guten erschöpft, ist selbst nicht gut, weil das Gute, Glückseligkeit als Folge ihrer Würdigkeit, sich letztlich im Hedonismus erschöpft. Es muss einen Wert geben, der ein absoluter Zweck ist, damit die Welt einen Sinn hat.

Woher kommt aber das Erkenntnisinteresse für den absoluten Zweck der Welt? Von der Vitalspannung, die letztlich die Willensstärke angibt. Der schwache Wille ist hedonistisch, ein stärkerer Wille lunar-kompetitiv, erfolgsorientiert, noch stärker ist der Wille zur Macht, und der stärkste Wille ist der Wille zum Wert.

Und wo ist der gute Wille? Er befindet sich auf der Skala zwischen dem heroischen Willen zur Macht und dem apollinischen Willen zum Wert, und ist asketisch. Kant machte also das Asketische zur Grundlage der Moral, und der Zweck des Askese sollte der vollkommen befriedigte Hedonismus sein: die Befriedigung aller Neigungen in höchster Intensität und Dauer, oder, wenn dem der Glückseligkeit Würdigen alles nach Wunsch und Willen geht.

Das Solare III: Die Moralität

 

 

 

 

Ist die Moralität selbst deskriptiv oder normativ zu betrachten? Moralitätsimmanent nur normativ. Ist Kant dann ein moralitätsimmanenter Denker? Der Zweck des Universums, die Antwort auf die Frage, warum, im Sinne von wozu, etwas ist und nicht nichts, heißt bei Kant die moralische Welt. Das ist eine Welt, in der die Würdigkeit, glücklich zu sein, zur Glückseligkeit führt, und die Unwürdigkeit entsprechend in die Hölle.

Moralphilosophen können keinen kategorischen Imperativ empfehlen, sie betrachten die Moralität deskriptiv von unten. Sie weisen auf die Aporetik von Kants KI hin, und zeigen, dass der gute Wille, nach Kant das einzig Gute, was es überhaupt geben kann, zu bösen Überzeugungstaten führt. Die anthropologische Trias als eine Theorie der Tiefen- oder Ethnosoziologie betrachtet die Moralität deskriptiv von oben: die Moralität zu verabsolutieren, ist dasselbe, wie die Rationalität zu verabsolutieren, und darum das Solare nicht an die Spitze der Hierarchie, sondern gleich als absolut zu setzen.

Kants Kritik der Moral zeigt, dass die Moralität eine Disziplin der Vernunft ist. Hegel zieht sie mit der Aufhebung in die Sittlichkeit aus der Subjektivität ins Intersubjektive. Doch es bleibt beim reinen Denken. Und das Handeln muss sich nach dem Denken richten. Damit ist die Moralität das imaginäre Reich des Sollens, dessen Übertretung keine realen Konsequenzen hat. Erst wenn die Moralität verrechtlicht wird und eine allgemeingültige Ethik begründet, hat moralisches oder unmoralisches Handeln echte Konsequenzen.

Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist eliminatorisch: das Böse ist das, was nicht sein soll. Das Handlungsimperativ gegenüber dem Bösen lautet somit: Vernichtung. Die Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht ist hierarchisch: steht die Hierarchie, leben wir in der Hochkultur, fällt sie, regiert die Dekadenz.

Die Moralität ist keine leere Form der Gesetzmäßigkeit, ihr liegen Werte zugrunde. Der Mensch handelt moralisch, weil er bestimmte Werte anstrebt, und nicht, weil er eine moralisch korrekte künstliche Intelligenz nachahmen will. Die Werte verhalten sich hierarchisch zueinander, die Hierarchie der Werte ist nicht beliebig. Je höher ein Mensch in der anthropologischen Trias steht (hier ist die Leiter, aufsteigend: chthonisch, tellurisch, lunar, heroisch, asketisch, apollinisch), umso klarer erkennt er die wahre Hierarchie.

Das Solare II: Das Denken

 

 

 


Das Denken ist ein geistiger Gewaltakt, mit dem Denken kann man die Welt vergewaltigen. Das Denken kann idealistisch oder reduktionistisch sein. Das pure Denken kann die Welt nicht verstehen (nur in Verbindung mit Intuition), und darum wäre die reine Vernunft redlich, wenn sie nicht vom Verstehen, sondern vom Konstruieren spräche.

Die Vorstufe des Denkens ist das Vorstellen. Das Ziel des Denkens ist das Finden der Wahrheit: der Übereinstimmung des Gedankens mit seinem Gegenstand. Das Verhältnis des Denkens zum Gedachten kann in Meinen (ohne Gewissheit der Wahrheit), Glauben (subjektive Gewissheit) und Wissen (subjektive und objektive Gewissheit) nach Kant unterschieden werden. Kant war der Denker schlechthin. Die alten Griechen hatten sich noch auf Intuition verlassen: Platon, ja selbst Aristoteles, dachten intuitiv.

Hegel folgte einserseits den von ihm verehrten alten Griechen (von den Denkern der Neuzeit hielt er nicht viel), doch verfiel auch dem Wahn des reinen Denkens: vom intuitiven Verstand des Phänomenologie des Geistes, dessen Gebrauch er von Goethe gelernt haben soll, findet sich in seinem späteren System nicht mehr viel. Er fasste die Welt als einen Gedanken und verfehlte damit ihr Wesen. Das Solare ohne Bezug auf das Tellurische und Lunare kann nur Luftschlösser bauen.

Der Selbstversicherung des Seins durch das Denken folgt die rationale Wissenschaft nach dem Subjekt-Objekt-Modell. Der Wissenschaftler ist das denkende Subjekt, das mit seinem angeborenen Erkenntnisapparat und dessen künstlichen Hilfsmitteln die Welt erkennt. Kants "Kopernikanische Wende" vollzieht sich schon mit Descartes, der nicht vom "Es ist", sondern vom "Ich bin" als Grundlage der Wissenschaft ausgeht. Fichtes Selbstsetzung im "Ich=Ich" ist das zu Ende gedachte reine Denken. Die Frage ist aber, wie kann sich ein radikal subjektives Denken noch auf das Sein beziehen? Und zwar nicht auf das Sein des erkennenden Subjekts, welches, was nochmal, erkennt? Ach, richtig: sich selbst.

Das Solare I: Der Eremit

 

 

 

 

Nach 15-jähriger selbstauferlegter Leidenszeit als asketischer Mann mit gar noch höherem spirituellen Potenzial wurde ich in diesem Sommer zum apollinischen Mann, dem höchsten im Menschlichen. Laotses/Zhuangzis höherer Mensch ganz und gar; zu sagen, ob auch Nietzsches Übermensch, könnte nur Nietzsche selbst, der dafür zu viel Interpretationsspielraum gelassen hat. Jedenfalls bekommt man keine Superkräfte: mir sind keine Flügel gewachsen, ich kann kein Feuer spucken, könnte dich zwar töten, aber nicht, indem einen Lastwagen auf dich schmeiße. Mit der menschlichen Schwäche, mit den Beschränkungen der conditio humana den großen, den inneren Dschihad gewinnen, darum geht es.

"Dein spritueller Erfolg macht dich aber nicht zu einem nützlicheren Ochsen", stellt die tellurische, mütterliche Frau fest. Das ist freilich wahr. Doch ich war auch vorher nie ein Ochse. Ich tat Gutes stets aus Güte, nie aus dem Bestreben, jemandem nützlich zu sein. "Dass du ein apollinischer Mann bist, macht dich aber nicht sexuell attraktiv", tönt die Bitch, die Schlampe, die chthonische Frau. Das stimmt wiederum auch, aber ich war auch vorher nicht sexuell attraktiv, und wollte es nie sein. Ich empfinde es sogar als belästigend, wenn Frauen mich sexuell attraktiv finden (aus Erfahrung gesprochen); allenfalls scherzhaft, dann habe ich nichts dagegen. Natürlich habe ich nichts gegen die unschuldige körperliche Zuneigung einer Jungfrau, der apollinischen Frau, die aber zu kindlichem Körperkontakt hinführt, nicht zu Sex.

Ich bereue nicht, gütig und geduldig gewesen zu sein. Auch die wenigen Ausbrüche des Zorns, die nie Gewalt waren, bereue ich nicht: auch Heilige sind nur Menschen. Und ich bin froh, kein Heiliger mehr zu sein, sondern, um es in meinen Begriffen des Jahres 2004 auszudrücken, ein Weiser. Das war die Zeit, als ich mit 21/22 einen Highspeed-Buddhismus praktizieren wollte, um vom heroischen Mann bzw. der existentiellen Entwicklungsstufe in wenigen Monaten zum Heiligen und dann bis spätestens Ende 2005 zum Weisen zu werden, ohne Meditation und dergleichen, versteht sich. Den Weg bin ich schließlich auch gegangen, aber er war länger und leidvoller; hätte ich mit 21 gewusst, wie lang und leidvoll, hätte ich mich für den Suizid entschieden.

Ein solarer Mann ist auch in der Großstadt ein Eremit. Er hat den Geist eines Eremiten, er ist auch unter Menschen immer bei sich selbst. Nur wenige gleichwertige Geister können im Laufe eines hohen Lebens getroffen werden, und diese Begegnung ist ein Fest, keine Selbstverständlichkeit. Ein höherer Mensch muss aber auch damit rechnen, im Laufe seines irdischen Lebens nie auf den Geist zu treffen, der ihn begreift.

Das Lunare IV: Das Leben

 

 

 

 

Das Prinzip des Lebens ist der Dualismus von Gleichwertigem: Tag und Nacht, Mann und Frau, Liebe und Streit. Eliminatorischer Dualismus (Gut und Böse) oder klassistischer Dualismus (Gut und Schlecht) sind solar. Empedokles und Heraklit sind lunare, dionysische Philosophen, Parmenides und Platon sind solar, Epikur und die Kyniker chthonisch-tellurisch.

Lunar ist der konträre, nicht der kontradiktorische Gegensatz. Laura non c′è bedeutet auch ci sei te. In der romantischen Liebe bedeutet die Abwesenheit der Geliebten nicht die Gegenwart einer anderen Frau, sondern den gähnendleerdunklen Abgrund des Nichts. Die Schwelle zum Solaren befindet sich dort, wo das Leben für einen höheren Wert negiert oder transzendiert wird (das Transzendieren ist ein Hegelsches Aufheben: Negieren und Bewahren). Der Suizid aus verschmähter, verlorener, versagter Liebe ist aber lunar, weil der wahre Grund der verletzte Stolz des Liebenden, und damit weltimmanent ist.

Lunar sind die Tages- und Jahreszeiten, die die tellurische Ordnung beherrschen. Der lunare Mensch kehrt diese Ordnung für sich um: Liebende treffen sich in der Nacht, der späte Abend, nicht der geschäftige Morgen, ist die ideale Arbeitszeit für den Künstler; Genies sind keine Chaoten, sie leben nicht außerhalb, sondern überhalb der Ordnung der Dinge.

Die Göttin der Liebe und der Gott des Krieges sind Liebhaber; dem rationalen Rhetoriker Hermes steht der irrationale Gott des Rausches, Dionysos, gegenüber. Die Vorstellung und das Denken, die aus dem Solaren kommen, imitieren das Lunare, um nicht lebensfremd zu wirken: der transzendente Gott ist unerreichbar, also schickt er seinen Sohn auf die Welt, der nicht nur anfassbar, sondern auch tötbar ist. Ein sich verabsolutierender Gedanke wird zur These, sein Gegenteil zur Antithese, und wir haben entweder eine Aporie oder ein Synthese.

Kants Antinomien zeigen, dass das Leben widersprüchlich ist, und nicht vollständig im Geist aufgeht. Würde der solare Reinheitswahn, um die Reinheit des Seins zu bewahren, das Tellurische und Lunare vernichten, das Resultat wäre nicht reines Sein, sondern Nichts. Dem Lunaren ist Regime-Immanenz fremd, da es zwischen dem Solaren und dem Chthonisch-Tellurischen steht. Das reine Denken verabsolutiert gern sich selbst, aber auch die Dummheit setzt sich selbst absolut. Hegels Feststellung "Der Geist kann die Dummheit nicht zwingen" ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ zu verstehen: die tellurischen Menschen brauchen Herrscher aus höheren Ordnungen, die durch physische Gewalt etwas faktisch durchsetzen können, denn in der tellurischen Ordnung gilt nur die normative Kraft des Faktischen.

Das Lunare ist seinem Wesen nach selbstironisch: das Leben ist leicht. Es ist der Kampf gegen das Leben, der schwer ist: entweder der titanische oder tellurische Kampf von unten oder die solare Unterdrückung des Lebens durch den Geist, wie sie sowohl politisch bei der Durchsetzung von Ideologien als auch privat bei Kopfmenschen vorkommt, die das Irrationale, und damit das Leben, aus ihrem Leben verbannen wollen.

Samstag, 13. August 2022

Das Lunare III: Die Erotik

 

 

 

 

Die Erotik ist alles, was mit geschlechtlicher Liebe und Begierde zu tun hat; wohlgemerkt: mit der geschlechtlichen, nicht der zwischengeschlechtlichen. Erotik ist immer auch Homoerotik, weil der eigene Körper ein Lustobjekt ist. Der Mythos von zwei getrennten Teilen eines überseienden Ganzen, die ihre bessere Hälfte suchen, um sich wieder aus dem Sein zu transzendieren, bezieht sich nicht explizit auf Mann und Frau, aber auf die männlichen und weiblichen Potenzen.

Zeus zeugte Artemis, Apollo und Athene als Kopfgeburten, um nicht von der nächsten Göttergeneration gestürzt zu werden. Die Prophezeiung erfüllte sich jedoch, indem Ares, Hermes und Dionysos ihn stürzten: die dionysischen Religionen, an ihrer Spitze das Christentum, beerbten die antike Götterwelt, zu der die Menschen keinen lebensweltlichen Bezug mehr hatten. Das Wort und das Schwert standen dem Dionysos Jesus bei der Eroberung bei.

Hera zeugte aus Rache durch Parthenogenese Hephaistos. Anders als die solaren geistigen Kinder des Jupiter war dies ein hässliches chthonisch-titanisches Männchen, dem die Götter dann zum Trost die ultimative Dirne schlechthin, die Göttin der erotischen Liebe, zur Frau gaben. Doch Aphrodite betrog ihn mit dem Kriegsgott Ares. Hephaistos baute den Betrügern eine Falle, die sie im Bett durch unsichtbare Netze festhielt. Dann rief er die Götter. Homerisches Gelächter. Lachten die Götter über die Liebenden oder über den Gehörnten? Die Moral der Geschichte ist ja, dass man Liebe nicht erzwingen kann.

Aphrodite wird oft den Kindern des Zeus zugeordnet, stammt aber vom durch Kronos entmannten Uranos ab, und zwar nach dessen Entmannung: seine ins Meer geworfenen Geschlechtsteile befruchteten dieses, und auf die Insel Kythera kam kein Säugling, sondern eine voll entwickelte junge Frau aus dem Meer. Die erotische Liebe hat mit Mutterschaft und Brutpflege nichts zu tun, und so ist die Frau erotisch am Begehrenswertesten, die denkbar weit von diesen beiden Potenzen des Weiblichen entfernt ist.

Die Erotik ist nicht mit der Sexualität gleichzusetzen: die tellurische, naturgebundene Geschlechtlichkeit regiert im Reich der Notwendigkeit, die Erotik ist dagegen luxuriös. Die erotische Liebe ist magisch, übernatürlich. Die erotische Begierde ist gefährliche Magie, die zum Sturz ins Chthonische führen kann wenn die Liebe zur Form zur Lust nach Materie degeneriert.

Die durch Monogamie gebändigte erotische Liebe bildet den Übergang vom Lunaren zum Tellurischen; die ins Geistige übersteigerte romantische Liebe erhöht sich vom Lunaren zum Solaren. Rein lunar ist das willkürliche verspielte Walten des Eros.

Das Lunare II: Der Hagestolz

 

 

 

 

Situationskomik: ein Mann, dionysisch oder höher, ist mit einer Frau befreundet. Die Frau findet ihn nicht sexuell attraktiv, er findet die Frau von ihrem Stande zu plebejisch. Beide sind nicht sexuell aneinander interessiert, und beide befürchten, sexuelles Interesse voneinander zu erfahren; sie sexualisieren damit andauernd einander (auch negative Sexualisierung ist Sexualisierung), und ihre Freundschaft zerbricht.

Ja, der Hagestolz ist wählerisch: er wird in der Jugend nicht so-Irgendeine bzw. Irgendsoeine knallen, um "es" getan zu haben. Er hat, wie die Frau selbst, und im Gegensatz zum Ochsen, ästhetische Ansprüche. Er betrachtet die Sexualität hedonistisch. Andere tun das etwa nicht? Der chthonisch-tellurische Mann, unser Ochse, sozialisiert sich durch Sexualität: "eine Freundin haben", ist Pflicht, und auch die Hetze gegen "Loser" (die keine haben) oder Schwule darf nicht fehlen. Der Ochse hat in Wirklichkeit keinen Sex: der Sex hat ihn.

Aber der lunare Verführer, der Dionysiker, der hat Sex. Er genießt ihn. Homoerotischerweise genießt er, wie die Frau, beim Sex auch sich selbst; bei der Verführung geht es oft weniger um die Verführte als um den Verführer. Oft ist das Verhalten eines solchen Mannes von dem eines Narzissten nicht zu unterscheiden, aber bei der genauer Betrachtung bietet er der Frau Spaß und hedonistisches Glück, der Narzisst parasitiert und zerstört sein Opfer emotional. Frauen, die spielen wollen, wollen nicht mit Ochsen spielen. Der lunare Mann ist ein erotischer Spielgefährte.

Ein vortrefflicher dionysischer Mann ist selbstironisch: er weiß, dass er nicht im Höchsten das Höchste sucht. Er sucht im Sex eine weltimmanente Transzendenz (die als solche auch Tieren und chthonisch-tellurischen Menschen zur Verfügung steht); eine überweltliche Transzendenz wäre zwar die Erlösung, aber er tut so, als würde er sie nicht sehen. Doch vom permanenten Heartbreak, der Verliebtheit und Enttäuschung, dem Karussel des Eros, will er natürlich erlöst werden, weil die schlechten Erfahrungen die guten nunmal überwiegen. Ein erfolgreicher Lunarist, ein Don Juan, dem alles gelingt, ein James Bond, der nur nach Lust lebt, und ständig Lebenslust verspürt, ist in Schopenhauers Wille und Vorstellung der Lockvogel der Natur, der uns von der logisch einzig sinnvollen Verneinung des Willens zum Leben weglocken soll: rein ins pralle Leben!

Das Lunare I: Das Spiel

 

 

 

 

Das Hinspiel ging unentschieden aus. Rückspiel im Champions-League-Halbfinale. 6. Minute, 1:0 Inzaghi. 11. Minute, 2:0 Inzaghi. Es geht 2:3 aus der Sicht von Juventus Turin aus. Der Gegner ist Manchester United. 1:0 Basler. Letzte Minute, das Spiel ist gelaufen. Bayern München ist Champions-League-Sieger. Nur noch 3 Minuten Nachspielzeit. 1:1 Sheringham, 1:2 Solskjaer. Und der Mars dieser Ilias heißt David Beckham.

Warum muss eine Mannschaft erst in Rückstand geraten, um ein großes Spiel zu zeigen? Vor der Schlacht bei Azincourt wurde der König der Engländer von den Franzosen gejagt, und die Seuche meuchelte einen großen Teil seiner Armee. Doch in der Schlacht vernichtete er die französische Armee fast ohne eigene Verluste. Ares steht gern mit dem Rücken zur Wand. Dionysos ist ein Grenzgänger. Das lunare Prinzip kommt ohne Spiel nicht aus.

No risk, no fun. Da Sinn und Zweck des Risikos hedonischer Art sind, stammt dieser Spruch wohl von einem lunaren ENTP. Ares kämpft nicht für Mutter Heimat bzw. das Vaterland. Das Duell ist für einen dionysischen Hagestolz keine Zwangshandlung aus verletzter Ehre, sondern eine aufregende Herausforderung. Im härtesten Kampf fehlt Mars jede Spur von Bitterkeit: er bleibt heiter.

In der Regel ist uns wichtig, was jemand sagt, wenn wir eine Debatte hören. Aber hört man einem Niall Ferguson beim Diskutieren zu, bewundert man das Wie und wünscht, er würde für einen Standspunkt streiten, der totaler Nonsens wäre, weil er gewinnen könnte. Spiel bringt Bewegung ins Leben, das Verängstigte und Erstarrte löst sich. Ohne Spaß kann sich Verbitterung nicht in Humor auflösen; man kann nicht trotzdem lachen, wenn man überhaupt nicht lachen kann.

Bayern München war im Chamipons-League-Finale 1999 ein schlechter Verlierer. Nach einem Spiel hadert man nicht mit dem Schicksal, sucht nicht den Schuldigen, sondern gratuliert dem Sieger und lacht über sich selbst: wie konnte man diesen sicher geglaubten Sieg noch in letzter Sekunde hergeben? ...Was zur Hölle ist Versailles? Vae victis! Das ist eine Demütigung! Brennus, der unerbittliche Barbar, wirft sein Schwert in die Waagschale. Und die Römer sind am Boden zerstört.

Jamukha hatte seinen Spaß im mongolischen Bürgerkrieg. Er war listig in der Täuschung und vortrefflich im Kampf. Er hatte Temüdschin einmal sogar besiegt und gefangen genommen. Doch am Ende siegte der spätere Dschingis Khan, und als Jamukha die Größe seiner Sache bewusst wurde, da bat er um den eigenen Tod. Jamukha wollte nur spielen, Temüdschin wollte die Welt erschüttern. Und Jamukha hat nicht vor der Überlegenheit seiner Armee, sondern vor der großen Persönlichkeit Dschingis Khans kapituliert.

Das Tellurische IV: Das Ressentiment

 

 

 

 

Die von Nietzsche kritisierte Sklavenmoral ist das tellurische Mindset: der tellurische Mensch sieht sich selbst als Objekt, als Spielball äußerer Mächte des Wetters, der Reichen und Schönen, der Politik. Der Bauer kann nichts für das Wetter, er ist ihm wehrlos ausgeliefert. Geld regiert die Welt: der Angestellte muss ja seinen bullshit job machen. Sie war zu hübsch und ihr Rock war zu kurz: da sind mit dem Vergewaltiger die Pferde durchgegangen. Wahlen ändern eh nichts, sonst wären sie verboten, seufzt der Küchenrevolutionär, der noch im Geschichtsunterricht gelernt hatte, wie oft schon das Volk ein ungerechtes Regime zum Einsturz gebracht hat.

Der Tellurist ist Bauer, Kleinbürger, Spießbürger. Er ist Null-Passionarier. In der Dekadenz kann er zum Subpassionarier degenerieren: das wäre jemand, der seine Triebe nicht beherrschen kann, und drogensüchtig, adipös oder/und alkoholabhängig wird. Dieser kann aber in der Ultradekadenz noch zum Sub-Subpassionarier weiter degenerieren: das wäre nun jemand, der seine unberrschten Triebe nicht einmal mehr befriedigen kann. Dann fordert der Fette body positivity, bzw. das Aufhören von bodyshaming, der Hässliche fabuliert von nichtbinären sexuellen Identitäten, um seine Intimsphäre in die Öffentlichkeit zu tragen und jedem unter die Nase zu halten, der Loser faselt von Polyamorie, die er okay findet, womit aber gemeint ist, dass ein anderer Mann Sex mit seiner Frau/Lebenspartnerin/Freundin hat, ohne dies geheimzuhalten.

Das chthonisch-tellurische Regime ist wie die Erde mit ihrer überirdischen Welt der Ähren und Baumkronen und dem unterirdischen Reich der Wurzeln im verwesenden Humus. Der essende und sprechende Mund, die arbeitenden Hände, die stämmigen Beine sind tellurisch, das Darmwerk und der Anus chthonisch. Dass die Gedärme tief im Körperinneren versteckt sind, ist das Werk der Natur. Dass der Anus in der Unterhose versteckt ist, ist das Werk der Kultur. Ohne die verborgene Verdauung wäre das gemeinsame Essen sinnlos. Das Tellurische kann als die Benutzeroberfläche des Chthonischen gesehen werden dann wäre das Tellurische aber nur die Illusion, die sich das Lunare vom Chthonischen macht. Die Materie wäre das Böse, das, was nicht sein soll, denn sie wäre grundsätzlich formlos, und Formen wären nur das auf die Materie projizierte Licht.

Die Materie kann aber auch als Grundlage der gesunden Natur betrachtet werden, in der die Hierarchie, die heilige Ordnung des Seins, eingehalten wird, heilig, weil sie das Unheil abwendet, das mit der Herrschaft des Chthonischen und Titanischen der Natur und der Kultur droht. Doch wie kann es eine positive, ressentimentfreie Moral der Beherrschten geben, die keine Sklavenmoral wäre? Kann die Mediokrität zum Vortrefflichen grollfrei aufschauen, ohne ungerecht zu finden, dass dieser vortrefflich ist? Kann der Spießbürger glücklich sein, ohne seine Schwäche in Güte umzuinterpretieren, und in der Güte eines Vortrefflichen seine eigene Schwäche gespiegelt zu sehen? Mit der offenen Frage ist das Tellurische verlassen, und das Tor zum Lunaren aufgestoßen, denn das tellurische Weltbild kennt keine offenen Fragen: es ist geschlossen.


Das Tellurische III: Der Ochse

 

 

 

 

Für den phallischen Mann gibt es nur den phallischen Mann. Der lunare, dionysische Mann erscheint diesem als ein prätentiöser, wählerischer Hagestolz ("Wie du hast Standards?" Oder: "Es gibt keine hässlichen Weiber, es gibt nur zu wenig Alkohol!") bzw. als eine "Schwuchtel". Der Held und der Heilige sind "Psychos", der apollinische Mann ist so unbegreiflich, dass es keine feststehende, sondern jeweils nur eine emotional-situative Abwertung für diesen gibt.

Aber Ochse ist nicht gleich Ochse! Natürlich verstehen der chthonisch-phallische und der tellurisch-phallische Mann gleich wenig von Kultur, Kunst und Schönheit. Alles Höhere ist ihnen unverständlich, und darum suspekt. Doch der chthonisch-phallische Mann sieht den tellurisch-phallischen Mann nochmal anders als sich selbst, und zwar mit dem Blick des Verbrechers: Das ist der arme Ochse, den er abziehen kann! Der tellurisch-phallische Mann hat meistens eine primitive, aber doch, Moral, der chthonisch-phallische Mann hat keine.

Tellurisch-phallische Männer sind die guten Ochsen der Gesellschaft. Die meisten Familienväter sind tellurische Männer. Die Fuckboys der alleinerziehenden Mütter sind dagegen eher Verbrechertypen, chthonische Männer. Der Motherfucker bezeichnet sich selbst stolz als "G", d. h. als Gangster. Der Männerabschaum ist nicht nur vaterlos aufgewachsen, das sind nicht bloß Söhne der von sozialen Umständen geschaffenen alleinerziehenden Mütter, das sind Hurensöhne von Schlampen, die durch Zu- und Unfall zu Müttern wurden.

Das Tellurische II: Die Familie

 

 

 

 

Wenn Homosexualität als widernatürlich bezeichnet wird und Geburtenkontrolle als Sünde betrachtet wird, haben wir es nicht mit der natürlichen Ordnung, sondern mit einem soziokulturellen tellurischen Konstrukt, der Familie, zu tun. Die Ablehnung der Homosexualität bis zur Angst davor, der Homophobie, ist ein Minderwertigkeitskomplex des Tellurischen gegenüber dem Lunaren, in dem sich die natürliche Bisexualität des Menschen voll entfaltet. Die konservative Abtreibungspolitik ist aber bloße Heuchelei, denn Geburtenkontrolle gehört traditionell zur Familienplanung.

Das Tellurische präsentiert ostentativ den Anschein der natürlichen Ordnung; der tellurische Familienmensch will zwar nicht mit dem Tier gleichgesetzt werden, will aber dennoch, dass seine Lebensart, seine Ansichten und Entscheidungen als von der Natur bestimmt, und deshalb alternativlos, akzeptiert werden. Im postjungianischen Raster MBTI ist das bewahrende SJ-Temperament die für den Tellurismus prädestinierte Charakterstruktur. "So soll es sein, weil es schon immer so war", ist ein mythischer Glaubenssatz des Telluriusmus: das Goldene Zeitalter vor dem Beginn der Zeit ist ein Gedankenkonstrukt.

Gedankenkonstrukte im Tellurismus begründen abartige Tradition, wie das Füßeabbinden im alten China oder die Genitalverstümmelung im neuen Afrika. Dabei geht es um Macht und Kontrolle. Auch die Jungenbeschneidung hat keinen anderen Zweck und soll dem Jungen sagen: "Dein Penis gehört nicht dir, sondern der Gattung!" Die Gattung, personifiziert durch das Mütterlich-Weibliche, steht im Mittelpunkt der tellurischen Weltanschauung. Noch vor wenigen Generationen waren die meisten Menschen überall auf der Welt Bauern. Das konservative Mindset von Heute bezieht sich auf die Lebenswelt von Damals, die es in den Ländern des Fortschritts nicht mehr gibt: hier sind selbst Bauern zu Agrarunternehmern geworden.

Keineswegs sträubt sich die tellurische Ordnung gegen titanische Errungenschaften: sie vereinnahmt sie und hält sie wenige Minuten später für naturgegeben. Den Konservativen in den USA ist ihr Recht auf Schusswaffenbesitz so heilig, als hätte Gott Adam mit einer AK-47 erschaffen. Die Atomkraft, ein Gipfel des titanischen Machtwahns, wird für selbstverständlich gehalten. Der Pragmatismus gegenüber dem Titanischen ist im Tellurischen allgegenwärtig, doch wie steht der tellurische Mensch zum chthonischen Ursprung seiner titanischen Prothesen?

Das Chthonische wird euphemisiert. Dem Schrecken wird durch Wegsehen und Verniedlichen der Schrecken genommen. In der tellurischen Ordnung wird alles, was nicht zur tellurischen Ordnung gehört, als ein integraler Bestandteil der tellurischen Ordnung betrachtet. Die lunaren und solaren Menschen haben alle Mütter, und die Mutter sieht im weltberühmten Künstler oder im mächtigen Feldherrn das hilflose kleine Kind. Der Mann ist in der tellurischen Ordnung gegenüber der Frau grundsätzlich nur der Sohn. Das Tellurische ist gynozentrisch; im Tellurismus erscheint der Gynozentrismus als naturgegeben. 

Das Tellurische I: Demeter

 

 

 

 

Das mütterlich Weibliche, das Tellurische. Die gute Mutter, die Göttin der Agrarvölker. Ja, sie ist entsetzt, dass ihre Tochter Persephone den Gott des dunklen Jenseits, Hades, tatsächlich liebt, und freiwillig in seine Welt geht. Die Mutter versteht alle, hat für alles Verständnis. Was sie nicht versteht, ist ein INTJ, doch das ist der Traumtyp der wohlgeratenen Tochter, das ist der Terminator (T800 in T1 und T2 ist ein INTJ, wenn man ihn als menschlichen Charakter betrachtet).

Die Mutter ist nicht die Ehefrau der Vaters: Zeus (ESTJ) ist mit Hera (ISTJ) verheiratet. Hera ist die berufstätige Mutter, die Herrscherin, nicht die Hüterin. Demeter, die tellurische Mutter, ist die ruhige Mitte zwischen der celestischen Mutter Hera und der chthonischen Mutter Kybele. Das Volk der Demeter schöpft aus der fürsorglichen Mutter unerschöpfliche Kraft. Darum ist Russland nicht so leicht zu besiegen.

Alles ist gut, doch irgendwas ist nicht gut, so das unterbewusste russische Empfinden. Das Seiende ist dynamisch, alles fließt, Stabilität kann nicht das Ende sein. Deshalb ist das russische Nationalgefühl die unübersetzbare "toská", das sich regende Lunare strebt auf, will das Mutterhaus verlassen und auf eigenen Beinen stehen. Davon erzählt das Lied "Shiroká reká" der russischen Pop-Demeter Nadeschda Kadyschewa.

Dienstag, 9. August 2022

Das Chthonische IV: Kybele

 

 

 

 

Es gibt die Mutter und die Dirne, so Otto Weininger. Es gibt die Mutter und die Hure, so Nawalt Migtowsky. Es gibt die Mutte und die Nutter, so... oder so: das Chthonisch-Weibliche steht unter keinem geistigen oder seelischen Prinzip mehr, sondern unter dem materiellen Prinzip der Vagina. Der Gynozentrismus jeder menschlichen Kultur ist tellurisch, chthonisch ist der Vaginozentrismus: hier geht es nicht mehr um die Frau als Frau, die Frau als Mutter, die Frau als Bewahrerin der Gattung.

Kybele, auch bekannt als Rhea, hatte viele Kinder: Zeus, Poseidon, Hades, Demeter, Hera und Hestia. Sie hatte sie mit dem Titanen Kronos gezeugt, dem Herrn der Zeit. Dieser kam zur Herrschaft über die Welt, indem er Uranos, den ewigen Himmel, entmannte. Die Tengrianer sehen es übrigens nicht so: nach ihrer Ansicht ist bei Uranos noch alles beisammen. Zeus wurde zum Gott dieser Welt, Hades zum Gott der Unterwelt, Poseidon zum Herrn der Meere, die für die alten Griechen eine Sonderwelt zwischen dem Dies- und dem Jenseits waren.

Hera herrscht nach außen in der gynozentrischen Kultur der Menschen, Hestia nach innen. Demeter ist die Mutter als Mutter, das tellurische Prinzip. Feministisch gewendet, ist die weltimmanente Demeter der Gott dieser Welt, Gottmutter, die transzendente Hera die Göttin des Jenseits, und Hestia die Göttin der Zwischenwelt. Das mütterlich-weibliche Prinzip ist aufgeteilt und bedarf keiner Sondermutter. Das sieht Kybele anders.

Es gab schon in der Antike Kulte, die nur Kybele verehrten. Diese nahmen zu den Zeiten der Dekadenz zu. Kybele ist die Mutter schlechthin, mehr Mutter als Frau, mehr Mutter als Göttin, einfach die entfesselte Mutterschaft, und somit ganz die Tochter ihrer Mutter Gaia. Die materielle Mutter, unter keinem geistigen Prinzip stehend, gebiert Ungeheuer. Die Vagina ist das Tor zur Hölle. Und dieses Tor ist beiderseitig begehbar.

Die Sehnsucht der Dirne nach dem Verbrecher wird bei Otto Weininger nicht in ihrer ganzen Tiefe diskutiert. Das selbstsüchtige Weib, das den Koitus als Selbstzweck, und nicht zum Zweck der Mutterschaft, anstrebt, will nicht den vernünftigen Mann, sondern das lüsterne Männchen. In der Ultradekadenz gilt als männliches Ideal der phallische Mann, die niedrigste Form der Männlichkeit. Noch weiter unten steht das Tier.

Und hier wird es erst interessant: Will Jane Porter wirklich den Menschen Tarzan, oder steht der Affenmensch nur stellvertretend für den Menschenaffen? Das Tier, der Werwolf, der Vampir, das Monster: kein Rapper, kein Dealer, kein Gangster ist nur annähernd so sexy. Und letztlich sehnt sich doch die ultradekadente chthonische Frau nach Sex mit lovecraftschen Gestalten: im totalen Krieg der Materie gegen die Form wird der Ekel zum Orgasmus.

Das Problem ist nur: der Körper der chthonischen Frau ist ein menschlicher Körper, entstanden nicht in der Formlosigkeit der bloßen Materie, sondern nach einem geistigen Prinzip. Die Form wird in der Gestalt des schönen weiblichen Körpers als Geisel genommen, und der die Schönheit liebende Betrachter jeder Kulturmensch im Grunde durch die Vergewaltigung des wohlgeformten weiblichen Körpers durch das Form-Minderwertige oder Formlose gefoltert. Diese Folter des Zuschauers (bzw. des davon Wissenden oder Ahnenden) macht den chthonischen Orgasmus aus.

Montag, 8. August 2022

Das Chthonische III: Das Titanische

 

 

 

 

Die olympischen Götter haben die Titanen in einen Bereich verbannt, der sich noch unter der monotheistischen Hölle befindet. Der Logos gewann gegen das Chaos im Kampf um die Natur.

Die Macht der Menschen über die Natur kommt aber von den Titanen. Prometheus überlistete selbst Göttervater Zeus. Die Menschen verdanken ihren technologischen Fortschritt dunklen Kräften. Wissenschaft und Magie entspringen derselben Quelle. Deshalb ist alles Titanische – vom Verbrennungsmotor und Atomkraftwerk bis zu Ibuprofen und den Impfstoffen – mit Vorsicht zu genießen.

Prometheus steht für den titanischen Logos. Das Projekt Atlantropa von Herman Sörgel folgte der titanischen Logik. Die Wolkenkratzer in Shanghai und Dubai sind titanische Logistik. Das Bodybuilding im Fitness-Studio mit halbkünstlichen Nahrungszusätzen ist titanisches Logem.

In Maßen ist das Titanische einhegbar und beherrschbar. Das Empire State Building passt harmonisch ins Stadtpanorama von New York. Aber spaßt nicht mit dieser Stadt: New York ist nichts anderes als The City in the Sea von Edgar Allan Poe. Die Stadt steht, wie die USA, Chimäre aus Neo-Byzanz und Neuvenedig (bzw. Neo-Neo-Karthago), auf titanischem Grund. Den dunklen Ahnungen Poes im Zeitalter der Romantik folgte die explizite Darstellung Lovecrafts im Zeitalter der Psychoanalyse: unsere moderne Welt ist auf etwas gebaut, das gar nicht sein soll (das Urböse).

Nach Peter Sloterdijk geschah im 20. Jahrhundert Folgendes: jeder von uns bekam das Äquivalent von mehreren Dutzend Sklaven. Wir haben die fossilen Brennstoffe nutzbar gemacht und damit so viel Energie generieren können, wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Das Titanische ist ubiquitär. Der Sieg der Olympier war nicht von Dauer. Doch als Mittel, welches wir durch unsere Vernunft verantwortungsvoll beherrschen, wie das Feuer, das in den Öfen brennt und die Häuser warm hält, ohne sie zu verbrennen, hat es einen berechtigten Platz in der menschlichen Kultur. Wird aber das Titanische zum Selbstzweck, zerstören wir die Natur – sowohl um uns herum als auch unsere eigene. Der Transhumanismus bedeutet, dass wir dann keine Menschen mehr sind. Wollen wir jedoch Menschen bleiben, müssen wir mit den titanischen Kräften konservativ umgehen.

Das Chthonische II: Formlosigkeit

 

 

 

 

Je höher das Lebewesen, umso klarer die Form. Damit steigt auch der Grad der Schönheit. Säugetiere sind am Schönsten, allerlei Formloses im Tierreich löst Ekel aus. Das kontradiktorische Gegenteil des Schönen ist das Ekelhafte, nicht das Hässliche. So gibt es das eine oder andere hässliche Reptil, das durch seine bizarre Form begeistert. Der Wurm, der Darmparasit, der Schleimpilz sind nur eklig.

Die Phantasie muss beim real Existierenden nicht aufhören, und so haben die Buddhisten ihre Hungergeister und Höllenwesen und wir unseren geschätzten H. P. Lovecraft. Seine und von ihm beeinflusste Phantasiewesen treiben das Grauen der Formlosigkeit auf die Spitze: lebende tote Masse, strukturlos wächst alles von überall; Fleisch, Schleim, Tentakel. Das Ding aus einer anderen Welt (1982) vollendet das Prinzip des Formlosen, das horribelstenfalls jede Form annehmen kann.

Aus der Sicht der neuplatonischen Emanationslehre oder der dharmischen Weltanschauung befindet sich der formlose Bereich karmisch so weit unten, dass ihm das Annehmen fester Formen nicht möglich ist. Und so entstehen Monstrositäten, die sich gewaltsam in Dreck und in Totem materialisieren.

Materie ohne Form ist im ästhetischen, nicht physikalischen Sinne, degenerierte Materie, wobei das Prinzip gleich ist: beliebige Dichte und Schwere. So atmen die unterirdischen Wesenheiten den Erdmantel wie wir die Luft. Sie sind so schrecklich, dass sogar am Hintereingang der Hölle noch Wachen stehen, die die Verdammten in der Hölle vor den chthonischen Monstern schützen. Was lockt den Menschen am Chthonischen? Träger welche Karma-Zustände werden von Cthulhu heim ins Reich geholt?

Das Chthonische I: Wahnsinn

 

 

 

 

Die Seele stirbt nach dem Tod nicht, davon geht Schopenhauer, obgleich Atheist, mit Selbstverständlichkeit aus. Aber wir verlieren nach dem Tod den individuellen Verstand, und ohne diesen haben wir Angst im Dunkeln.

Das Selbst ist unergründlich tief, der ungeschaffene Teil der Seele, das Göttliche im Menschen. Das Ego ist die Summe der Kränkungen, Ressentiments und psychischen Störungen, die sich im Laufe eines Menschenlebens aufsummieren. Das Ich ist der rationale Verstand, das Bewusstsein, von dem die Philosophie des Geistes spricht. Das Selbst ist pures Subjekt, überbewusst, und somit nicht selbst Bewusstsein. Das Ego ist pures Objekt, das, "was das Leben mit uns macht", unterbewusst, und somit auch unbewusst. Erst im Ich werden auch diese Teile der Persönlichkeit ihrer Selbst bewusst, denn das Ich ist Bewusstsein. Und das Bewusstsein des Bewusstseins ist das Selbstbewusstsein (Hegel).

Das absolute Wissen der Phänomenologie des Geistes ist der Flow-Zustand des individuellen Bewusstseins, seine weltimmanente Transzendenz in den Geist der Kultur, dem es angehört. Mit dem Tod verlässt auch der größte Philosoph die Sphäre des Geistes, und geht, ob im kurzen Sterbeprozess oder in langer Demenz, zurück zur wertenden und urteilenden Vernunft, dann zum egozentrischen Selbstbewusstsein, dann zum wahrnehmenden Bewusstsein, verliert Kraft und Verstand, findet sich bei der widersprüchlichen Wahrnehmung und nuckelt wenige Sekunden oder eine ganze Weile an der Titte der sinnlichen Gewissheit.

Im Film "Die Mächte des Wahnsinns" (1994) zeigt John Carpenter, dass Verstand nicht selbstverständlich ist. Auch mitten im Leben kann er einen Menschen verlassen. Vertraust du dann deinen Sinnen? Deiner Logik? Was ist Vernunft ohne Verstand? Worauf beziehen sich Kategorien, wenn die Empirie sich an keine Gesetze mehr hält? Je mehr man darüber nachdenkt, umso mehr Angst bekommt man: nicht vor den im Diesseits möglichen Qualen und den Höllenstrafen im Jenseits, sondern vor dem kosmischen Horror, der noch eine Ebene tiefer liegt, vor dem, was eigentlich gar nicht sein soll.

Freitag, 20. Mai 2022

Drei Filme als Eckpfeiler der postmodernen Saturnalien (1962-2022)

 

 

 

Es gibt nur zwei Rassen: die Anständigen und die Unanständigen, wusste Viktor Frankl:

"Es gibt nur zwei "Rassen": die Rasse der anständigen Menschen und die Rasse der unanständigen Menschen. Gerade deshalb, weil wir wissen, dass die Anständigen in der Minorität sind, ist jeder einzelne aufgerufen, diese Minorität zu stärken und zu stützen."

Die Anständigen verabschiedeten sich mit Wer die Nachtigall stört (1962, das Jahr, in dem die dekadente Gesellschaft zur ultradekadenten Gesellschaft wurde); dieser Film ist eine Warnung, ein Mahnmal: es kann keine postheroische Gesellschaft geben, denn postheroisch bedeutet posthuman.

Die befreiten 60-er, die nihilistischen 70-er, die asozialen 80-er: Gordon Gekko ist ein wahrer Hippie, von allem Anstand befreiter Boomer. Der Marsch durch die Institutionen: man fand eine Nachkriegswelt im Aufbruch vor und verwandelte sie in eine zynische verlogene Welt der Harten Ziele (1993): die Reichen jagen aus Langeweile Menschen wie Wild, die Armen haben nur noch ihr Leben. Halbzeit der Saturnalien.

Die nivellierten 90-er, die Psycho-Nuller, die Spaltungs-Zehner. Die geistig Armen herrschen in einer Kultur des Unterleibs. Scheiße schwimmt schon so lange oben, dass sich eine Kruste gebildet hat. Das führt zur Spaltung: die Superreichen und ihre Lakaien gegen die nach rechts driftende Mitte. Wie ist der Name des Erlösers? Batman? Punisher? Nein, Nobody (2021). Nobody rächt nichts, er kämpft für nichts, ihm ist einfach langweilig. Jetzt wird der Weg des Schiva gegangen. Die Saturnalien sind zu Ende.

Kultur des Unterleibs

 

 


Der Kopf gilt als das peinliche, minderwertige Komplement zu den Genitalien; der Kopf ist da, um den Minderwertigkeitskomplex des Schwanzes auszugleichen. Bei prachtvoll entwickeltem Hauptstück erscheint schon der Kopf als unauffällig: Allerweltskopf, Mützenständer. Unterleibsmenschen haben den Geist nicht nötig (das sagte schon Thomas Mann sinngemäß in "Tonio Kröger", doch da meinte er die Dekadenz, den bloß kopflosen Man-Menschen, nicht die Ultradekadenz, den Unterleibsmenschen).

Der Oberkörper ist der Kleiderbügel der Brüste bzw. der Brustmuskulatur; der Bauch ist da, um Bauchlosigkeit bzw. die Bauchmuskeln zu präsentieren. Die Hände sind zum Wichsen und Grabschen da, der Mund zum Blasen und für die Zigarette, das Gesicht für Schminkmaskerade und als bewegliches Passfoto. Die Oberflächlichkeit ist in der Ultradekadenz nicht mehr die Hautlichkeit Nietzsches, an der sich tief schwimmende Fische hin und wieder erfreuen können; der ultradekadenten Oberflächlichkeit fehlt die Haut: sie ist nur noch Fleisch.

Freitag, 13. Mai 2022

Männer und Frauen als Freunde

 

 

 

 

Können Männer und Frauen Freunde sein? Die Antwort für high quality men und high quality women lautet JA, für low quality men und low quality women NEIN.

Denn low quality men werden immer Sex erschleichen wollen, und low quality women werden immer ihre Sexualität als Ware oder als Waffe nutzen.

Wie kann verhindert werden, dass Männer Sex kaufen und Frauen Sex verkaufen (Sex im Tausch im weitesten Sinne, nicht nur für Bargeld)? Leider sind low quality men und low quality women in der Überzahl, also ist das in einer freiheitlichen Gesellschaft so gut wie unmöglich.

Was fehlt, ist der Ekel: Ekel vor Sexualpartnern, die man nicht wirklich begehrt. Menschen sollten sich mehr voreinander ekeln. Dafür sollte eine andere Art der Sexualaufklärung stattfinden als üblich: anstatt über die richtige Condom-Benutzung sollte ausführlich über Geschlechtskrankheiten und unappetitliche Fakten über den menschlichen Körper aufgeklärt werden. Sex unter Alkoholeinfluss ist ein weiteres großes Problem.


Die Medien-Idiokratie

 

 

"Dieser Mann hat kein Recht zu sprechen, aber was er sagt, stimmt", sagt der Anführter der Thraker zur unerbetenen Wortmeldung des jungen hitzigen Spartacus (wie dieser später genannt wird). In einer geistig gesunden Gesellschaft darf Kritik vorgebracht und muss angehört werden, bevor sie erwidert oder widerlegt wird.

Nach den Anschlägen vom 11.9.2001 machten Politik und Medien jedem klar, der die offizielle Verschwörungstheorie in Frage stellte, dies sei Landesverrat bzw. man sei, wie man heute sagen würde, Terroristenversteher. Der dekadente Umgang mit Kritik ist ihre präventive Bekämpfung. Inhalte der Kritik werden jedoch wenigstens angehört, und, zumindest für den Schein, widerlegt.

Die Coronapolitik zeichnete sich durch eine präemptive Dämonisierung der Kritiker aus: "Eure wissenschaftlichen Gegenargumente wollen wir gar nicht erst hören!" Obwohl ich inhaltlich immer auf der Seite der Schulwissenschaft war, fiel es mir schwer, diese Politik der Spaltung und Diffamierung mitzutragen. Das in der Sache Richtige kann auch mit falschen Methoden durchgesetzt werden.

Wir haben keine Diktatur, was für unser Wohlergehen und unsere Lebensgestaltung prima ist. Eine Diktatur ist aber im Umgang mit Kritik und Kritikern gerade durch die asymmetrische Reaktion mit physischer Gewalt auf Argumente ehrlicher, was ihre Informationspolitik betrifft. Diktaturen fabrizieren Dissidenten, Staatsfeinde, aber ultradekadente Medien-Idiokratien erzeugen Medienkonsum-Zombies, geistig verwirrte Konsumenten von Bullshit-Informationen, psychisch Kranke, Depressive, und Menschen mit dissoziativen Störungen, weil ihr Kopf permanent gefickt wird.

Freitag, 18. März 2022

12. Das Ende der Saturnalien

 

 

 

1962 findet der Atomkrieg nicht statt. Stattdessen beginnt die Realitätsflucht, die in Metaverse ihren logischen Schlusspunkt findet. Für eine echte Matrix hat es wohl an Erfindergeist gemangelt. Der feminisierte sich infantlisierende Westen mit dem Endziel Idiocracy spaltet sich in Safe Spaces auf, realitätsfremde Blasen, narzisstische Realitätssimulationen, die mit der Realität selbst nicht interagieren, und nur durch das Wissen um die Existenz anderer Simulationsblasen in Erregung gebracht werden. Fernsehen, Internet und schließlich Social Media ersetzen die Realität.

Neo ist ein russischsprachiger Jude, ein Komiker, der einen Lehrer spielt, welcher auf die Politiker schimpft. In der Inszenierung wird er dazu aufgefordert, sich für das Präsidentenamt zu bewerben und gewinnt tatsächlich die Präsidentschaftswahlen. Nach dem Erfolg in der Simulation bewirbt sich Neo nun in der Realität für das Präsidentenamt um gewinnt wieder die Wahl. Die umgekehrte Bewegung von der Simulation in die Realität gipfelt darin, dass eine gigantische hochgerüstete Simulationsblase das von Neo geführte Land in der Realität überfällt. Jetzt ist Neo in der realsten aller Realitäten angekommen: im Krieg. Die Saturnalien sind zu Ende.

Die Saturnalien, das waren die 60 Jahre der westlichen Ultradekadenz. Das tellurische Russland und der chthonische Westen stritten sich um eine lunare Randzone, deren Selbstständigkeit schon dadurch ein Witz war, dass die Lebensmoral ihrer Bewohner in dem Wunsch bestand, die Teigtaschen sollten ihnen doch selber in den Mund springen. Diese Randzone wird nun zum Land der Helden, das gegen zombierte Blasenbewohner seine Unabhängigkeit verteidigt.

Der altersschwache Westen, der mit Schande einen 20-jährigen Einsatz in Afghanistan beendete, wurde bereits 1999 für die serbische Armee zum Gespött, die NATO-Bodentruppen erwartet hatte, und stattdessen nur feige aus der Luft ausgebombt wurde. Andere Angriffskriege verliefen ähnlich. Bei wirklich schlimmen Genoziden hielt sich der Westen zurück oder spielte eine dubiose Rolle (Ruanda, Darfur). Die Technik und die Söldner retteten die militärische Ehre. Das ressentimentale Russland, das mit Gorbatschow auf Malta sein Versailles erlebte, isolierte sich von der Welt (Russlands Welt ist und bleibt der Westen) und lief schließlich Amok.

Es gab mit Chlodwig und Charlemagne ein Vorfrankreich, es gab auch eine Vorukraine der Kosaken. Die Kapetinger gründeten erst den bis heute bestehenden französischen Nationalstaat, die wahre Geburtstunde der Ukraine ist jetzt. Der Lebenswille echter Menschen beschämt die Zombies aus dem Westen und die Vampire aus dem Osten. Immerhin lockt die Ukraine Walker, Beißer, Untote an, um für ihre Freiheit zu kämpfen, aber auch Russland holt diese kollektiven Protagonisten von The Walking Dead in seine Reihen; Rick und Negan setzten schließlich gleichermaßen Zombies in ihrem Krieg gegeneinander ein. Nazis und Söldner hier und dort als Hilfstruppen, doch die Verteidigung der Ukraine hat einen guten Kern, die Überlebenden. Russlands Saviors sind, wie Negans Gruppe, eine tyrannisch geführte Verbrecherbande.

Die Niederlage des Westens, sein Offenbarungseid, ist seiner durchfeminisierten und sich zunehmend infantilisierenden Bevölkerung noch nicht klar, aber die Zeit des Westens ist vorbei. Russland als Macht der Zukunft im Sinne Spenglers, das wird wohl nicht der Staat der Moskowiter sein. Iwan der Geldsack war sein erster, Wladimir der Oligarch wahrscheinlich sein letzter Herrscher. Moskau war kein drittes Rom, das war London. Moskau war ein Antisystem nach Gumiljow, eine destruktive Macht, deren Zeit abgelaufen ist. Die Welt war bis zum Zerreißen gespannt, und sie riss im Kreml. Die Ukraine ist das erste Land der Zukunft, das Dugins vierte politische Theorie verwirklichen könnte: einen realitätsbasierten Vitalismus jenseits der Ideologien der Moderne (Liberalismus, Kommunismus, Faschismus).

Die Dekadenz der Lüge

 

 

 

Was macht die Lügenpresse im Patriarchat? Sie lügt. Falsche Informationen haben die gewünschte Wirkung, weil sie für wahr gehalten werden. Der belogene Medienkonsument ist rational, ihm kommt es auf die logischen Inhalte an.

Im feminisierten Zeitalter emotionalisiert die Lügenpresse, sie übt Gesinnungsterror aus. Die Fakten sind egal, interessieren niemanden mehr, also werden sie auch nicht mehr verfälscht. Logische Zusammenhänge werden zwar eingestanden, gehen aber im Trompetenlärm der erregten Emotionalität unter: keiner denkt mehr, alle fühlen.

Wir leben noch nicht im infantilen Zeitalter, aber in einem Zeitalter der Infantilisierung. Kinder muss man nicht anlügen: man vereinfacht, man übertreibt, und man lenkt den Fokus (framing). Der Begriff Lügenpresse spiegelt die Machenschaften der Mainstreammedien im feminisierten und zum Infantilismus neigenden Zeitalter nicht wider. Zur Zeit haben wie eher eine Mamapresse. 

Donnerstag, 10. Februar 2022

11. Norwegen: Covid47

 

 

 

Als Harald Norwegen einte, einer von den Drontheimern, die bei Skandinaviern so verhasst waren, wie die Sachsen bei Gott und den Menschen, war das Land eine nordische Großmacht. In der späten Wikingerzeit entdeckten die Norweger Nordamerika. Mit und gegen die Dänen kämpften sie um die Britischen Inseln. Doch bevor wir zu den Entdeckern des Nord- und Südpols kommen, müssen wir über Inzidenzen sprechen.

Eine Inzidenzzahl von 35 (oh, gefährlich!) bedeutet, dass im gegebenen Zeitraum 35 von 100000 Menschen infiziert sind. Bei einer Schluckauf-Inzidenz von 100 hat ein Promille der Bevölkerung Schluckauf. Eine Antisemitismus-Inzidenz von 1000 bedeutet, dass 1000/100000, also genau 1% der Bevölkerung im gegebenen Zeitraum Antisemiten sind. Wenn jeder 10-te eine Grippe hat (was in der Wintersaison manchmal der Fall ist), beträgt die Inzidenz schockierende 10000. Und nun verspreche ich, nicht mehr über Inzidenzen zu reden, sondern über Hospitalisierungsquoten und Sterbezahlen.

Am malerischen Yssykköl-See im heutigen Kirgisien war für die Pest am Anfang des 14. Jahrhunderts das, was für die heutigen Coronaviren Ende 2019 Wuhan war. Globalisierung war noch nicht, Menschen und andere Krankheitserreger verbreiteten sich langsam. Aber 1347 war der Beginn einer globalen Pest-Pandemie. In Norwegen überlebten diese Pandemie nur 35-40% der Bevölkerung. Eine Gesamtsterbeinzidenz von 60000 bis 65000. Klar gab es auch Masken (diese lustigen Vogelmasken), Lockdowns (von deren italienischer Namensgebung sich das heutige Wort Quarantäne ableitet) und eine Art Behandlung (das war dann eher der Aderlass als die Impfung). Der Erfolg war bescheiden. Nur in unwegbaren Gegenden, wo die Pest nicht ankam, kam es nicht zum Massensterben.

Zeitsprung zu den Helden meiner Kindheit: Amundsen gegen Scott. Der Norweger erreichte 1911 als erster Mensch den Südpol. Scott died trying. Nansen sah aus wie Ragnar, erforschte die Arktis und bekam 1922, vor 100 Jahren, den Friedensnobelpreis für Flüchtlingshilfe. Eine Generation später durchquerte Heyerdahl mit einem Floß den Pazifik. Heute ist Norwegen das Land mit dem höchsten Lebensstandard (HDI) und der nachhaltigste Staat der Welt (zweitniedrigster FSI plus zufriedenstellendste wirtschaftliche Selbstgenügsamkeit). Das Schicksal hat verhindert, dass Norwegen um die Weltmacht kämpfen konnte. Gut für Norwegen.

Mittwoch, 9. Februar 2022

Ultradekadente Männer

 

 

 

Slutshaming ist emotionale Bestrafung von Frauen für Frauen. Als die Frauen en masse begannen, rumzuvögeln, haben sich die Männer nur gefreut: früher mussten sie selbst in short-term-relationships ein bisschen effort investieren, und auf einmal reichte es, einigermaßen nett auszusehen, und eine Frau zu treffen, die Bock hat.

Die Langzeitwirkung billiger Sexualität ist verheerend: Männer werden nicht mehr erwachsen. Wozu die Kuh kaufen, wenn man Milch im Supermarkt bekommt? Und so haben männliche Biographien nichts mehr damit zu tun, ein verantwortlicher Familienvater werden zu wollen. Frauen sind mittlerweile an Hochschulen überrepräsentiert, Männer brechen Studiengänge und Ausbildungen ab und gehen Pornos gucken.

Billiger Sex ist wie Zucker für die Massen: beides führt zur Fettleibigkeit, Zucker physisch, Sex psychisch. Die Gesundheitsschäden psychischer Zuckersucht sind Apathie, Depression, Entwicklungsregression. Wo sind all die guten Männer? Ja, wo sind überhaupt noch Männer, es gibt nur noch Jungs!

Jeder darf rumvögeln, wie er will. Aber das bedeutet nicht, dass jeder zum Stich kommt. Der unattraktive Fuckboy wird vom attraktiven Fuckboy ausgestochen. Und außer der Lust und der Anspruchshaltung, frei rumzuvögeln, hat der Mann nichts: keinen Beruf (allenfalls einen Job), keine Ambitionen, keine Ziele. Wer keinen Freifick bekommt, nennt sich MGTOW. Wer aber so emotional abhängig von female validation ist, dass er mit Pornos und Videospielen nicht ruhiggestellt werden kann, nennt sich Incel (die männliche Entsprechung der hässlichen Feministin).

Kinder wollen eh nur Frauen, der Mann hat nichts damit zu tun. Ja, selbst beim Machen der Kinder für die alleinerziehenden Mütter gibt es Probleme: die abendländische Spermienzahl hat sich in den letzten paar Jahrzehnten halbiert. Unselbstständige, unerwachsene Männer gehen dann schließlich doch Beziehungen ein, in denen die Frau die Hosen an hat, folgerichtig, weil sie mit 30 entwicklungspsychologisch und beruflich weiter ist als der Mann mit 40.

"There is no such thing as a free lunch" ist immer wieder wörtlich missverstanden worden. Dabei ist es die lässige Art zu sagen, dass alles Konsequenzen hat. Der Mutterinstinkt rettet manche Frauen vor der sexuellen Verwahrlosung, die biologische Investition in ein Kind ist bei der Frau nunmal höher (um es idiotensicher zu sagen: Frauen, nicht Männer, werden schwanger). Der Mann ist dagegen im freien Fall in die Ultradekadenz.

Frauen müssen endlich Politik machen, denn derzeit leben schwache Männer, die harte Zeiten verursachen. Harte Zeiten werden starke Männer hervorbringen, aber vielleicht auch eine globale Katastrophe (bei derzeitigem Technologieniveau). Schwache Männer sollten lieber in Elternzeit gehen, und Frauen die Politik überlassen. Zur Zeit sind Frauen Männern im Großen und Ganzen überlegen; einzelne Individuen, oder der Spruch Weiningers, dass es zwar talentierte, aber niemals geniale Frauen gibt (männliche Genies aber in jeder Generation), ändern nichts am Gesamtbild.

 

 

Der Irrtum der MGTOW

 

 

MGTOW (Men Going Their Own Way) sind Aussteiger aus dem sexual market. Sie halten die weibliche Sexualität für überteuert und die Risiken (insbesondere divorce rape: Vermögensverlust bei Scheidung) für untragbar. Was überinflationiert ist, ist in Wirklichkeit die Anspruchshaltung der heutigen Frauen. Der Preis für weibliche Sexualität ist dagegen zu niedrig.

Frauen sind heute billig. Naturgemäß betrachte ich den sexuellen Markt aus der männlichen Perspektive, doch ich sehe auch Überscheidungen mit der weiblichen Sicht auf heutige Männer. Der Einfachheit halber bleibt das Narrativ ungegendert. Um es noch einfacher zu machen, vergleiche ich Frauen mal mit Eigentumswohnungen.

Ich arbeite hart und spare für eine gute Eigentumswohnung. Und dann muss ich feststellen, dass der letzte Penner schon eine Wohnung hat: auf Kredit. Selbstverständlich wird er sie nicht bezahlen können, also wird die Wohnung wieder frei, aber nun ist es eine zugekackte Toilette. Wohnungen, die von Penner zu Penner durchgereicht werden, werfen Geld ab, während für anspruchsvolle Käufer reservierte Wohnungen, die erst einmal leer stehen, keinen sofortigen Gewinn abwerfen. Frauen sparen sich nicht für gute Männer auf, sie reiten das cock carousel.

Ich muss als high quality man meine Strategie ändern und aus dem Markt aussteigen. Ich ekele mich; ich werfe mich selbst ja halt eben nicht jeder Pussy an den Hals. Also baue ich mir ein eigenes Haus in unberührter Gegend.

Die meisten MGTOW, die eigentlich Incels sind (involuntarily celibate) haben überhaupt nichts dagegen, dass Frauen so günstig zu haben sind (Promiskuität), sondern sind frustriert, dass andere Stecher zum Stich kommen und sie ausstechen (sogenannte Chads)*.

MGTOW ist eine im Grunde linksliberale Bewegung, die aber mit der Zeit ein rechtspopulistisches Narrativ angenommen hat: die traditionelle Gesellschaft war besser. Aber nein, denn auch damals hatten die Nicht-Chads unter den low quality men keine Chance: um sich eine klasse Frau leisten zu können, musste man in der sozialen Hierarchie ziemlich hoch stehen.

Alle ficken rum, also will ich auch, ist eine kindische Anspruchshaltung. In Wirklichkeit sind die meisten krass unterfickt; es wird heute weniger gefickt als im viktorianischen England. Alle haben eine narzisstisch pervertierte Anspruchshaltung und sind einsam und unglücklich.



Anmerkung:

Chads ohne Wert und Status sind keine Alpha-Männer, sondern nur Fuckboys, und entsprechen auf der anderen Seite den sexuell attraktiven Schlampen, den geilen Nutten. Männer, die selbst in Nachtclubs gern leichte Beute machen (würden), haben sich auch nicht über Frauen zu beschweren, die leicht zu habende männliche Nutten aufreißen.

Freitag, 14. Januar 2022

Back to Atheism VIII: God within (Ni)

 

 

 

Das Bedürfnis nach Transzendenz ist natürlich; Selbsttranszendenz ist die Spitze der Bedürfnispyramide. Die Sinnlichkeit steht für Immanenz, das Fühlen für Hier und Jetzt, das Denken für interesseloses Wohlbetrachten. Die extravertierte Intuition (Ne) ist ein nach allen Seiten offenes Mindset, die introvertierte Intuition (Ni) ist der Wille zur Transzendenz.

Ni ist die geheimnisvollste der kognitiven Funktionen, deshalb ist der Geist eines INTJ oder INFJ das Gegenteil von einem offenen Buch. Das Wirken der introvertierten Intuition in der Kulturgeschichte zeigt sich in den Idealen des Wahren, Schönen und Guten, die von Willensmenschen aufgestellt und von Künstlern personifiziert dargestellt werden. Polytheismus, Mystik, schamanische und dharmische Vorstellungen vom Universum resultieren aus dem mit dem Willen potenzierten Bedürfnis nach Transzendenz.

Der Wille fokussiert die vitale Energie auf bestimmte Ziele, die immer außerhalb des Selbst liegen. Sie können sich äußerlich oder innerlich außer Reichweite des Egos befinden. Ob Welteroberung oder Selbstverwirklichung, alle Willensakte werden durch Ni vollbracht.

Die Psyche ist kein Automat aus unterschiedlich angeordneten kognitiven Funktionen, der Mensch ist keine Maschine. Das Ich, das alle kognitiven Akte begleitet, ist kein "ich denke", es ist ein "ich will", ein Selbstinteresse, ein Fokus der interessierten, nicht bloß beobachtenden Aufmerksamkeit. Das transzendentale Ich zum bloßen Beobachter zu degradieren, ist ein in den dharmischen Religionen, der Stoa und der Philosophie Schopenhauers gewählter Weg, der nur angefangen, aber nicht gegangen werden kann, weil er durch die Ausschaltung des Willens auch den Willen zerstört, ihn zu vollenden.

Das Nirwana ist nur als Asymptote denkbar. Wer dort ankommt, ist nicht mehr. Aber wozu die jahrelangen Übungen in Leerheits-Achtsamkeit und Lebensverachtung? Es geht auch einfacher mit dem Empiriker Epikur: wenn wir sind, ist der Tod nicht; wenn der Tod ist, sind wir nicht. Wenn das Nichts das Ziel ist, liegt nichts näher als der Suizid.

Das Ich, das auf dem Weg zur Vollkommenheit nicht weggekürzt werden kann, ist der innere Gott. Er ist der Schöpfer und Erhalter des Bewusstseins, er ist in jedem Bewusstsein für ebendieses allmächtig, gut und allwissend. Und da er der Träger des Willens zur Selbsttranszendenz ist, ist er auch Liebe. Deshalb ist die Mystik der theistischen Religionen wertvolles Kulturgut und keine politische Herrschaftsideologie.

Gott ist im Innern des Bewusstseins und ein Gegenstand der Mystik. Gerade die sinnliche Welt, der Kosmos, wird nicht göttlich regiert, sondern ist ein Spielplatz des Chaos und der Kontingenz. Das empirische Ich ist nun ein Teil dieser kontingenten empirischen Welt, kann aber nur durch seinen inneren Gott seiner Selbst bewusst werden. Der innere Gott ist außerhalb von Raum, Zeit und Kausalität. Er ist der mathematische Attraktor und das philosophische Ideal des Ich. Ich bin bedeutet: Gott ist, aber nicht der Gott der Theisten, sondern der Gott der Mystiker.

Back to Atheism VII: Ti rules

 

 

 

Als Te-user bin ich kein großer Denker. Dass ich dennoch Philosoph bin, und nicht zu knapp, hängt mit dem starken Willen zusammen: der klassischen Liebe zur Weisheit, sprich dem Willen zum Wissen/zur Wahrheit gesellen sich aber noch der Wille zur Macht (Nietzsche) und der Wille zum Wert (Weininger) hinzu. Durch extravertiertes Denken (Te) bin ich eigentlich ein Erklärbär, ein extensiver Konstrukteur, kein intensiver Forscher. Man gibt gern generös Schwächen zu, die einem selbst nicht wehtun; die den Charakter bestimmenden Schwächen versteckt man. Das tut weh: ich bin kein Ti-user, introvertiertes Denken (Ti) gehört nicht zu meinen Stärken.

Die großen paradigmatischen Leistungen von Ti sind Kants Philosophie und Einsteins Physik. Introvertierte intuitive Ti-user (insbesondere INTPs) sind die größten Denker, extravertierte intuitive Ti-user (vor allem ENTPs) die größten Erfinder. Die Relativitätstheorie ist so durchdacht, dass sie intuitiv überhaupt nicht zu verstehen ist, und nur wenige selbst durch reines, vom Vor-Urteil geschiedenes Denken, sie begreifen können. Es gibt nichts in der empirischen oder systematischen Erfahrung, das ein Vor-Verstehen (eine Intuition) der Relativitätstheorie ermöglicht. Intuition und extravertiertes Denken stehen vor verschlossenen Türen. Mathematik und theoretische Physik sind das Reich des introvertierten Denkens.

Kants Widerlegungen der Gottesbeweise sind paradigmatisch für Ti, der kosmologische und ontologische Gottesbeweis sind paradigmatisch für Te. Gott ist der Größte. Der existierende Gott ist größer als der bloß Gedachte, also muss Gott existieren. Wirklich? Existenz ist eine andere Kategorie als Größe, Güte, Allwissenheit oder Allmacht. Das schönste Einhorn ist nicht schöner, wenn es existiert, als wenn es bloß vorgestellt wird. Eine Milliarde Dollar, die man haben will, ist nicht weniger Geld, als eine Milliarde, die jemand tatsächlich hat.

Viele Menschen mit Ti-Schwäche sind für Kreationismus anfällig und unterschätzen die wissenschaftliche Methode. Weil sie die Evolutionstheorie nicht verstehen können, glauben sie diese mit geringsten Einwänden widerlegt. Wissenschaft ist denkintensiv, (theistische) Religion ist ein geistiges Energiesparprogramm.

Eine Immunisierungsstrategie gegen die logische Widerlegung der theistischen Gottesvorstellung ist die Betonung des Glaubens: Gott kannst du eh nicht denken, außerdem ist sein Verstand deinem überlegen. Du kannst entweder glauben und Jesus als deinen Erlöser annehmen oder nicht glauben und dich damit freiwillig für die ewige Verdammnis entscheiden. Das ist ein Spiel mit der Furcht, emotionale Erpressung. Doch genau dahin soll es ja gehen: wer emotional getriggert wird, kann nicht mehr klar denken.

Back to Atheism VI: Cherchez la Fi!

 

 

 

Das introvertierte Fühlen verweigert sich dem Theismus, es fühlt diesen nicht, kein Wunder bei diesem Gedankenkonstrukt. In meinem Fall ist Fi die Kindfunktion (Fi child) und wird von Te parent geschützt. Das extravertierte Denken denkt nach, aber es denkt nicht durch. Was ist für Fi child angesichts schrecklicher bisheriger Erfahrungen besser, dass es einen allmächtigen, guten und allwissenden Gott gibt oder nicht? Wäre nicht schlecht, wenn es den Garanten der Glückseligkeit als welttranszendente Persönlichkeit gäbe. Also sucht Te parent rationale Gründe dafür, dass es ihn gibt.

Zur Funktion des nicht Nach- sondern Durchdenkens, zum introvertierten Denken, steht das introvertierte Fühlen in jeder möglichen Anordnung der kognitiven Funktionen im Gegensatz: die beobachtenden und die wertenden Funktionen gleicher Direktion kämpfen gegeneinander. So kämpft Fi child gegen Ti critic den Kampf der Unschuld. Das Ergebnis sind Denkverbote für guten Zweck. Um auf die Funktion introvertiertes Denken zugreifen zu können, musste ich Schattenarbeit leisten (ENTP shadow).

Nach getaner Schattenarbeit stelle ich fest, dass das introvertierte Denken dem introvertierten Fühlen nicht die Hoffnung wegnehmen will, sondern nur die Illusionen. Die vier Kämpfe gegen uns selbst, die wir führen (hero vs demon, parent vs trickster, child vs critic, inferior vs nemesis), bringen uns um oder machen uns stärker. Hierfür ist der betreffende Spruch angemessen, nicht für äußere Ereignisse.

Das introvertierte Fühlen steht für das authentische Erleben. Diese unmittelbar wertende Funktion ist auch für die moralischen Werte zuständig (bei mir sind die ersten 3 von 6 nach Jonathan Haidt Reinheit, Freiheit und Gerechtigkeit). Weder habe ich jemals die Anwesenheit eines Gottes, wie ihn die Bibel beschreibt, gefühlt, noch stimmen meine persönlichen Werte mit den Werten theistischer Religionen überein (da wäre Autorität der höchste Wert in der Hierarchie).

Fühl, was du wirklich fühlst. Die Unfähigkeit zu fühlen oder ein Fühlverbot, das ist aus naheliegenden Gründen das Ziel theistischer Gehirnwäsche. So musste Kierkegaard (INFP = Fi hero) trotz Andersfühlens eine Enweder-Oder-Entscheidung treffen und entschied sich für den Sprung ins Ungewisse in die Arme des biblischen Gottes. Fühlte er Liebe? Nein, er fühlte Angst. Die Liebe Gottes als Furcht und Zittern.

Back to Atheism V: Il cuore del problema (Si)

 

 

 

Die Anspielung auf die fünfte Staffel von La Piovra hat den Hintergrund, dass die Geschichte, die in diesen fünf Episoden erzählt wird, paradigmatisch für unsere Erfahrung mit der Erfahrung ist, genauer, mit unserem Speichermedium der Erfahrung, der introvertierten Sinnlichkeit (Si). Ein idealistischer junger Mann wird durch traumatisierende Erfahrungen in einem sehr kurzen Zeitraum zum kaltblütigen Mörder; ein Mensch, der aufgrund seines guten philanthropischen Charakters anfangs zur Mafia nicht passt, übertrifft sogar ihren größten Bösewicht am Ende an Bosheit. Er begeht allerdings nicht derart viele Gräuel, dass dem unsensiblen Zuschauer bewusst wird, welch eine krasse Wesensänderung bei ihm stattgefunden hat, aber dem Aufmerksamen entgeht es nicht.

Ich verstehe seine Erfahrung aus Erfahrung. Das ist meine Geschichte. Ein junger Mann mit vielen Hoffnungen wird durch eine heimtückische Sprachstörung (Stottern) ausgebremst, kommt mit seinen Mitmenschen nicht klar, weil er Autist ist (es aber nicht weiß), wird depressiv und findet schließlich zu Gott, wird ein Theist. Ein akzeptables Niveau an täglichem Leid kann weltimmanent verarbeitet werden, zu großes Leid oder zu viel davon staut sich auf, bis im Unbewussten bewusst wird, dass dieses Leid weltimmanent nicht mehr aufzuwiegen ist. Man fängt an, nach einem welttranszendenten Garanten der Glückseligkeit zu suchen, nach einer allmächtigen Person, die einem verspricht, die Bilanz wieder auszugleichen. Aus gespeichertem Leid entsteht eine Anspruchshaltung.

Zum Glück wurde ich nicht zum Mafia-Bösewicht, aber ich lebe auch nicht in einem Film. All die Jahre des Theismus verbrachte ich damit, mich selbst überzeugen zu wollen, dass es diesen transzendenten Garanten der Gerechtigkeit gibt, der die Leidleistung in Glückspunkten wieder zurückzahlt. Es war nicht von Anfang an so, dass ich an das Paradies mit den sprichwörtlichen 72 Jungfrauen dachte, im Gegenteil, ich war voller Hoffnung, als 16-jähriger Christ in dieser Welt das Glück zu erleben, dass das Erlittene ausgleichen sollte. Erst als das Leid sich verzinste und schneller wuchs als die Staatsschulden von Italien, wurde mir klar, dass kein Glück dieser Welt das bereits Erlittene wettmachen konnte. Das war mein "I want to believe"-Moment. Doch "Ich glaube daran, weil ich es mir wünsche" war angesichts intellektueller Selbstreflexion schon im jungen Alter zum Scheitern verurteilt. Ich verzweifelte. Und ich kündigte das christliche Opfer-Abo. Das war der richtige Weg.

Doch dann kam Sex. Erst mit 16 entwickelte ich echtes sexuelles Interesse, davor war ich sexuell ein Kind. Zur verspäteten Pubertät kamen heftige Verliebnisse, die die Romantik in den Vorder- und die Sexualität in den Hintergrund rückten. Kurz vor dem Abschied vom Christentum, als die Begeisterungsenergie der romantischen Liebe nach mehreren erfolglosen Verliebnissen verbraucht war, sprach die Sexualität ihr Wort. Ich hatte keine Ahnung, dass meine inferior function die extravtertierte Sinnlichkeit (Se) ist, und ich dadurch das Leidkonto ausschließlich sinnlich abgenießen kann. Ich lebte und litt weiter, anstatt den erlösenden Freitod zu wählen. Diese Entscheidung bereute ich immer mehr, doch andererseits wuchs auch das Leidkonto und damit die Ausgleichsansprüche. Ich tat ja nichts Böses, im Gegenteil, Gutes, und zwar, weil das meinem Wesen entsprach. Mein Fehler war aber, dass ich dafür belohnt werden wollte. Und dieser Fehler ist ein eingebauter psychologischer Fehler, der eben introvertierte Sinnlichkeit heißt.

Meine Vorstellung war nicht, mit echten Frauen echten Sex zu haben, sondern in einem virtuellen Simulator selbst ausgedachte Sexualsituationen auszukosten. Die Ansprüche an das Aussehen der sexuellen Genussobjekte wuchsen Jahr für Jahr, bis sie so perfekt waren, wie keine reale Frau jemals sein könnte. Doch wie konnte ich mir selbst versichern, auch tatsächlich jemals ausgezahlt zu werden? Dafür nutzte ich Religion und Moralphilosophie: die Moralphilosophie sollte das Gewünschte als das logisch Notwendige erscheinen lassen, die Religion mit der Güte Gottes dafür bürgen. Wenn es Gott gibt, wird mein Leidkonto ausgeglichen, denn ich leide ohne Schuld. Und ich entzog mich jeder Möglichkeit des Schuldigwerdens, um die Situation noch zu verschärfen. Wenn ich mein Paradies nicht bekomme, vernichtet Gott sich selbst, denn dann ist Gott nicht Gott, oder es gibt keinen Gott. Letzteres war immer mit der Anspielung verbunden, dass (mir) dann alles erlaubt sein würde: "die Welt pfänden", wenn ich meine Gerechtigkeit nicht bekomme, so meine Ausdrucksweise im Sommer 2006.

Was war ich für ein kranker Bastard? Mal checken. Posttraumatische Belastungsstörung? Check. Posttraumatische Verbitterungsstörung? Check. Narzisstisches Trauma? Check. Schwere Depression über Jahre hinweg? Check. Die Welt als Unwille und Alptraum, die Moral als Narzissmus, die Religion als KZ. Wer quälte mich denn all die Zeit? Heute weiß ich ja, dass ich der Welt und fast allen Menschen und Göttern angenehm egal bin, sie haben nichts gegen mich, sie werden aber auch von meinem Leid nicht fett. Aber die intovertierte Sinnlichkeit ist mein Dämon (Umkehrfunktion der vierten kogntiviten Funktion, der extravertierten Sinnlichkeit). Der Dämon ist der Kopf des Super-Ego, während die Hauptfunktion das Ego anführt: Ni hero bedeutet Si demon. Keine kognitive Funktion hängt so am Leben wie die introvertierte Sinnlichkeit. Darum war mir der Suizid verboten. Nicht von Gott oder der Gesellschaft oder der Moral, sondern aus dem tiefsten Abgrund meiner Psyche.

Jeder, der nicht nur Geiles erlebt, wird von der introvertierten Sinnlichkeit herausgefordert. Diese Funktion wehrt sich gegen schlechte Erfahrungen, was psychologisch sinnvoll ist, denn sie soll man ja nicht wiederholen. Doch bei zu viel Leid ohne Möglichkeit des Entkommens sammelt die introvertierte Sinnlichkeit das Erlittene wie eine Privatbank des Zorns, und wartet auf den Zahltag. Ist Si im Ego verankert, neigen Si hero und Si parent per default zur theistischen Religion, Si child und Si inferior verderben den Charakter und zerstören das Gute im Menschen. Ist Si im Schatten, verfolgen die schlechten Erfahrungen einen als Si nemesis, ziehen als Si critic runter, lassen als Si trickster immer wieder dieselben Fehler wiederholen (mit Tendenz zu Suchtverhalten), oder wollen sich als Si demon an der Welt rächen. Nur künstliche Hoffnung hält davon ab, und zwar durch den Zwangsglauben.

Da es sich um den Kern der theistischen Pathologie handelt, kann die Darstellung nicht kürzer ausfallen. Aber hier sind wir am Wendepunkt angekommen, die restlichen drei Funktionen sind nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Allen außer INTJs und INFJs ist als Heilmittel gegen Theismus Psychotherapie zu empfehlen, die beiden Charaktertypen mit der Arschkarte müssen da selber durch, weil der Dämon introvertierte Sinnlichkeit sich gegen die Auflösung seiner Lebenslügen so stark wehren wird, dass kein Therapeut dagegen ankommt. Den Theismus zu besiegen ist so schwer wie den Krebs zu besiegen; den Theismus sehe ich immer deutlicher als den Krebs des Geistes.

Kurz: Schlechte Erfahrungen werden gespeichert, die Psyche schreit nach Gerechtigekeit, nach Ausgleich, wenigstens nach Linderung. Erlebt sie aber weiter nichts als Schmerz, Schmerz, Schmerz, wird sie krank, und infiziert den Geist. Die Geisteskrankheit, der Glaube an einen Gott als Person, parasitiert auf dem natürlichen Bedürfnis nach Transzendenz. Mystik, das Streben nach Vervollkommnung und Heiligkeit, der Weg des Dharma: so reagiert ein gesunder Geist auf dieses Bedürfnis. Der kranke Geist hält krampfhaft an der Wahnidee eines menschenähnlichen Schöpfers des Universums fest, entmachtet sich selbst, verbietet sich jede Anstrengung (an sich sinnvoll: in der Krankheit braucht man Schonung), bis das Leidkonto ausgeglichen wird, lebt in einer Trotzhaltung gegenüber der Welt, und beraubt sich der einzigen Möglichkeit, dem Elend ein Ende zu setzen, wenn es unerträglich wird: des Suizids.

Donnerstag, 13. Januar 2022

Back to Atheism IV: Se sucks

 

 

 

Sonnenschein ohne Sonnenbrand, Rauchen ohne Krebs, Saufen ohne Kater, Titten, Ärsche, immersteife Schwänze, nimmerschwangere Playmates, Quillaja-Honig, Konsensmilch, Wahrscheinlichkeitswolken aus Pfefferminzmarzipan der Geschmacksrichtung Schokokakaoschoko, wo gibt es das alles? Im Paradies! Und auf dieser Welt nicht? Doch, aber die Qualität ist bescheiden.

Der Wunsch, ins Paradies zu kommen, und ohne Einschränkungen durch Natur und Kultur nach Lust genießen zu können, ist der Vater vieler religiöser Gedanken. Durch extravertierte Sinnlichkeit (Se) nehmen wir Sinneseindrücke wahr, und die meisten sind unangenehm. Schmerz wird intensiver erlebt als Lust, Ekel intensiver als alles andere zusammen. Arbeit, Training, Körperpflege: was man nicht alles tun muss, bevor man genießen kann bzw. genießbar wird. Die schönen Momente sind aber dann überschaubar.

Der Gier nach Angenehmem folgt die Gier nach mehr. Auch der König ist nicht zufrieden. Er kann keine zehn Frauen am Tag, aber will können. Er kann keinen Eimer Wein trinken, würde aber gern das ganze Fass austrinken. Das Lustvolle wird schnell zur Selbstverständlichkeit und verliert den Reiz. Erst nach längerer Krankheit wird Gesundheit als ein positiver, nicht bloß normaler Zustand, empfunden.

Der Hedonismus ist durch die sinnliche Ausstattung des Menschen einprogrammiert. Wenige schaffen es, den Drang nach Lust so zu regulieren, dass das Leben nicht zum Frust wird. Die Vielen fressen den Frust unbefriedigter sinnlicher Wünsche in sich hinein und stauen diesen in der introvertierten Sinnlichkeit (Si). Der Kipppunkt von naiver zur theistischer Religion ist erreicht, wenn das Unbefriedigte durch das Leid der Frustration, um ebendiesem Leid einen Sinn zu geben, als verdient erscheint.

Back to Atheism III: No empathy for Fe

 

 

 

Was andere glauben, ist mir egal. Aber der Glaube entsteht normalerweise durch den Herdentrieb, wobei normal ist, dass man keinen Fe trickster hat, und wenn, dann mit Si hero (Hauptfunktion introvertierte Sinnlichkeit) zusammen. Ein ISTJ versteht nicht wirklich soziale Normen, aber er hält sich an Regeln und Traditionen. So sehr ein sehr geschätzter ENTP (Fe child) darauf besteht, dass es wichtig ist, zu wissen, was andere glauben, und das zu respektieren, so sehr bin ich INTJ und sage nein.

Die Gemeinschaft der theistisch Gläubigen hat nichts moralisch, ethisch oder sonstwie praktisch-philosophisch Herausragendes vorzuweisen. Glaubenskriege, Antisemitismus, Missbrauchsskandale: all das war und ist durch die Gemeinschaft der extravertiert Fühlenden möglich. Die Kirche basiert auf dem Herdentrieb und der kognitiven Empathie. Mit affektiver Empathie (introvertiertes Fühlen, Fi) tun mir die Opfer ihrer unheiligen Eintracht leid.

Zwietracht lasset uns sähen, auf dass jeder selber denke! Anpassung an die Werte der Gruppe sichert das weltimmanente Überleben, ist aber kein Gütesiegel für welttranszendente Werte. Ob Jesus nur Gott oder nur Mensch, Gott und Mensch zugleich, leiblich Mensch und geistig Gott usw. gewesen ist, bleibt bedeutungslose Floskel, wenn es nach der herrschenden Meinung in Alexandria, Anitochia oder Rom geglaubt wird. Was glaubst du selber denn?

Und da zeigt sich, bei Licht betrachtet, dass sehr wenige Christen ihren tatsächlichen Glaubensinhalt definieren können. Vielmehr richtet sich dieser flexibel nach der Meinung der Gruppe. Gemeinsam ist allen, Jesus als den Erlöser anzunehmen. Aber ohne zu verstehen, was das bedeutet, bleibt das eine leere Floskel.

Back to Atheism II: Screw Te

 

 

 

Extravertiertes Denken ist das Werkzeug der Macher. Wer in der Welt wirken will, nutzt Te. Der General nutzt es, um zu siegen, der Ideologe, um die Welt zu erklären. Extravertierte Intuition (Ne) fabriziert Erzählungen, extravertiertes Denken (Te) Ideologien.

Was ist, philosophisch betrachtet, eine Ideologie? Eine logische Erzählung. Die Genesis ist eine kontingente Erzählung (so war es!), der dialektische Materialismus ist eine logische Erzählung (so ist es!). Ne erzählt von Ereignissen und Akteuren, Te von Sachzwängen und Strukturen.

Hegel, Marx, Lenin waren alle INTJs (Te aux): sie dachten extravertiert und wurden nicht von der Liebe zur Weisheit, sondern vom Willen, die Welt zu erklären, angetrieben. Hegel hatte wohl noch den Willen, die Welt zu verstehen, so wie Nietzsche, Sartre, und all die anderen Fi-user unter den INTJs. Marx und Lenin aber: nein, wozu verstehen, wenn man gleich erklären kann!

Wundersamerweise geht bei Hegel alles im Absoluten auf. Es ist ein den Ideen selbst äußerliches Ordnen, das deshalb willkürlich ist. Ideen haben ihre innere Ordnung. Das wusste Kant, das verkannte Hegel.

Der christliche Glaube wird bei Hegel zu einem Moment des absoluten Idealismus. Hegel greift Ideen, Stoff der Intuition, auf, und ordnet sie so, dass sie in ein widerspruchsfreies Ganzes passen. Aber sind diese Ideen auch jeweils in sich richtig? Wer fragt sich das schon? Etwa ein Proklos? Ein Thomas von Aquin? Ein Ken Wilber?

Wissen ist Macht. Nichts ist verführerischer für intuitive Denker als der Gedanke, alles zu wissen. Das absolute Wissen heißt auch das Schlusskapitel von Hegels brillantem Te-Meisterwerk, der Phänomenologie des Geistes. Doch gleich mein erster Eindruck war: Hegel weiß also alles, und ich stehe wieder vor dem Nichts.

Wenn die Welt so erklärt wird, dass alles in ein großes Ganzes passt, kann man sie mit Gott erklären, aber auch ohne. Und da hat Hegel (INTJ = ENTP shadow) Schattenarbeit geleistet: der absolute Idealismus schlägt in seinem Erklärbärwerk unvermittelt in einen absoluten Positivismus der Weltimmanenz um.

Back to Atheism I: Fuck Ne

 

 

 

Wie heißt die meistbenutzte Suchmaschine auf der Welt, dies- und jenseits des Internets? Extravertierte Intuition (Ne). Extravertierte Sinnlichkeit empfängt, introvertierte Sinnlichkeit sammelt (und ordnet?*) Sinnesdaten. Extravertierte Intuition sucht nach Zusammenhängen, wild, chaotisch, wie sie kommen, das Neue und Sensationelle wird bevorzugt. Ne ist der Staubsauger für Verschwörungstheorien.

Es gibt viele mögliche Erklärungen dafür, wie die Welt entstanden ist. Die Interessanteren gehen von einem Schöpfer aus. Intentionalität ist spannend, weil voluntaristisch, unvorhersehbar, überraschungsschwanger. Dharma ist für Denker. Die Intuition ahnt, dass da noch mehr dahinter steckt. Ne-user leben in Outer Limits, der unbekannten Dimension.

Was bloß möglich ist, ist für Ne bereits so gut wie wirklich, wenn es interessant ist. Ich glaube, weil es absurd ist, ist das Credo der Ne-user.

Warum Fragen stellen, wenn man Vermutungen anstellen kann? Alan Watts, ENFP (Ne dom), sagt, stellt euch vor, ihr alle seid Gott. Ihr habt unzählige Leben gelebt, und nun lebt ihr dieses. Und ihr selbst habt vorher entschieden, es so zu leben, dass ihr nicht wisst, dass ihr Gott seid. Stellt euch vor bedeutet für Ne-user: es ist so. Es sei denn, du stellst dir etwas noch Unglaublicheres vor.

Warum verstehen, wenn man vertrauen kann? Kierkegaard, most INFP philosopher ever (Ne aux), hält den Sprung von den Klippen der Ungewissheit ins Gottvertrauen für den entscheidenden Schritt. Darum geht es im Leben. Man muss es nur fühlen. Ich als intuitiver Denker fühle mich aber nur verarscht.

Doch zum Glück haben wir den Teufel, ENTP (Ne dom). Ja, alles ist möglich, sagt er, auch dass Gott böse ist. Oder dass es keinen Gott gibt. Aber wie kommt er darauf, zu denken? Mit Ti aux (introvertiertes Denken als zweite Funktion). Kant (Ti dom, Ne aux) stellt als INTP fest, dass auf Glauben grundsätzlich keine Weltanschauung gegründet werden kann. Glauben ist nicht wissen, weiß der Ti-user. Der Ne-user ohne Ti weiß es nicht.


*Meine Vermutung ist, dass eher die Denkfunktionen die Daten ordnen.